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Tausend und eine Nacht, Band 4

Tausend und eine Nacht, Band 4

Titel: Tausend und eine Nacht, Band 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Weil
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der Veziere und Gelehrten hörte: Nun werde ich bald zum Besitz dieses kostbaren Landes gelangen; dieser junge, unbesonnene König hat niemanden mehr, auf den er sich stützen kann, es wird mir leicht werden, sein Land zu erobern. Er beschloß daher, um seine Stärke zu prüfen, ihm folgenden Brief zu schreiben: »Im Namen Gottes, des Allgnädigen, Allbarmherzigen! Wir haben vernommen, daß du die Gelehrten deines Reiches und deine Veziere und mächtigen Krieger hast umbringen lassen, und daß du überhaupt einen schlechten und ruchlosen Lebenswandel führst, wodurch uns Gott den Sieg über dich erleichtert. Du stehst nun unter meinen Befehlen, baue mir daher einen großen Palast auf der Oberfläche des Wassers mitten im Meer; kannst du dies nicht, so verlasse dieses Land. Ich werde meinen Vezier mit zwölftausend Regimentern, jedes aus tausend Kriegern zusammengesetzt, in dein Land schicken, um davon Besitz zu nehmen; er wird dir nur drei Tage Frist gönnen, und widersetzest du dich ihm, so wird es bald um dich geschehen sein.« Diesen Brief schickte der Sultan durch einen Boten ab, und als der verweichlichte König ihn gelesen hatte, verlor er allen Mut und alle Kraft, und wußte nicht, was beginnen, denn er hatte niemanden, der ihm Beistand leistete. Er ging ganz blaß und entstellt zu seinen Frauen, und als sie ihn fragten: »Was hast du, o König?« antwortete er: »Ich bin nicht mehr König, ich bin nur noch ein Sklave«, und las ihnen weinend den eben erhaltenen Brief vor und fragte sie, ob sie ihm nun in dieser Not zu raten wüßten? Die Frauen antworteten: »Wir sind ja nur Weiber, wir haben weder Verstand noch Kraft genug, um in einer solchen schwierigen Sache einen Ausweg zu finden; du kannst nur bei Männern Rat und Hilfe suchen.« Jetzt sah der König erst ein, daß er durch die Hinrichtung seiner Veziere, Gelehrten und Großen des Reiches ein großes Unheil über sein Land gebracht hatte; er bereute sehr, was er getan, und sagte zu seinen Frauen: »Mir geht es mit euch, wie dem Rebhuhn mit den Schildkröten.« Da fragten die Frauen: »Was war das für eine Geschichte?« Darauf erzählte der König:

Geschichte des Rebhuhns mit den Schildkröten.
    Einst lebten Schildkröten auf einer sehr fruchtbaren, mit vielen Bäumen bepflanzten Insel. Da flog eines Tages ein Rebhuhn vorbei, das wegen der großen Hitze einen kühlen Ruheplatz suchte, und ließ sich neben dem Nest der Schildkröten nieder. Als die Schildkröten von ihrem Ausfluge zurückkehrten und das Rebhuhn sahen, fanden sie es so ausgezeichnet schön, daß sie sich mit seiner Gesellschaft freuten und sagten: »Das ist gewiß der Herr aller Vögel.« Sie näherten sich ihm daher so freundlich, daß es jeden Abend, nachdem es den Tag über auf der Insel umhergestreift war und Korn aufgelesen hatte, wieder zu ihnen zurückkehrte. Die Schildkröten gewannen es bald so lieb, daß es ihnen schwerfiel, den ganzen Tag von ihm getrennt zu leben. Sie sagten daher eine zur anderen: »Wir müssen ein Mittel finden, das Rebhuhn ganz an uns zu fesseln, daß wir auch am Tage uns an ihm ergötzen und nicht zu befürchten haben, daß es einmal auf seinen Ausflügen sich an einen anderen Vogel anschließe und uns ganz verlasse.« Da sagte eine von den Schildkröten: »Ich will euch aus dieser Verlegenheit helfen.«
    Die Schildkröte näherte sich des Abends dem Rebhuhn, als es heimkehrte, wünschte ihm guten Abend, küßte die Erde vor ihm und sagte: »Gott hat dir unsere Liebe in vollem Maße geschenkt und uns ebenso mit der deinigen gesegnet. Doch der Liebende findet nur Ruhe in der Nähe seiner Geliebten, jede Trennung aber bringt ihm herben Schmerz; wir können aus Wohlgefallen an dir dich gar nicht genug sehen und in deiner Abwesenheit gar keine Freude genießen, und doch sind wir so wenig beisammen: Das kränkt uns sehr; auch du mußt sehr leiden, wenn deine Liebe der unsrigen gleich ist.« Das Rebhuhn sagte: »Mir ist nur wohl, wenn ich bei euch bin, doch was soll ich mit meinen zwei Flügeln anfangen, die mich immer von euch treiben?« Die Schildkröte antwortete: »Wenn dir deine Flügel alle Ruhe und alles Vergnügen rauben und dich dazu noch der Gefahr aussetzen, von einem deiner Feinde unter den Vögeln auf dem Flug ergriffen zu werden, so lege sie ab, bleibe bei uns und lasse dir es wohl sein in unserem Überfluß.« – »Wie kann ich das?« fragte das Rebhuhn. Da sagte die Schildkröte: »Reiße eine Feder nach der anderen mit deinem Schnabel aus, bis

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