Tausend und eine Nacht, Band 4
kam, sagte er ihnen, sie möchten mich nur loslassen, ließ mich ins Schloß führen, und als ich in seinem Zimmer war, fragte er mich: »Was hat Gott über den Eigentümer dieses Rubins verhängt?« – »Er ist gestorben«, antwortete ich, und erzählte ihm, was ich von ihm wußte. Da schrie er schluchzend: »Der Sohn hat das Bessere gewählt und der Vater wird zuschanden!« Dann rief er einen Frauennamen; da trat eine Frau heraus, die, als sie mich sah, wieder zurücktreten wollte; aber der Kalif sagte ihr: »Bleibe nur, du brauchst vor diesem Mann dich nicht zu verbergen«, und warf ihr den Rubin zu. Sobald sie ihn sah, stieß sie einen Schrei aus und fiel in Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, sagte sie: »O Fürst der Gläubigen! Was hat Gott über meinen Sohn verhängt?« Der Kalif bat mich, es ihr zu sagen, denn er konnte vor Tränen nicht sprechen. Als ich ihr seinen Tod erzählte, weinte sie und rief mit herzzerreißender Stimme: »O wie sehne ich mich nach dir, Freude meines Auges, o könnte ich dir doch zu trinken geben, wenn niemand es tut! O könnte ich dich doch unterhalten, wenn es dir unheimlich wird!« Ich fragte dann: »O Fürst der Gläubigen, war denn dieser Jüngling dein Sohn?« – »Jawohl«, antwortete Harun Arraschid, »er besuchte oft die Gelehrten und Frommen, ehe ich zum Kalifen erhoben worden, sobald ich aber die Regierung antrat, wollte er sich von mir entfernen; da sagte ich zu seiner Mutter: Dein Sohn will abgeschieden von uns nur Gott allein leben; er wird gewiß hart geprüft werden und in große Not kommen, gib ihm daher diesen Rubin, damit er in der Not etwas habe; ich gab ihr also diesen Rubin, und sie drang in ihn, bis er ihn annahm; so verließ er uns, und wir haben ihn nicht wiedergesehen, bis er aus unserer Welt geschieden, um mit reiner Seele vor seinen erhabenen Herrn zu treten.« Dann sagte der Kalif: »Komm mit mir, und zeige mir sein Grab!« Als wir dort anlangten, weinte und seufzte er lange, betete für seinen Sohn und rief: »Wir sind Gottes und zu ihm kehren wir zurück.« Dann bot mir der Kalif eine Stelle an; ich schlug sie aber ab und sagte. »Ich habe eine Lehre von deinem Sohn angenommen«, und rezitierte folgende Verse:
»Ich bin ein Fremdling, gehöre niemandem an, wo ich auch weile; ich bin ein Fremdling, habe weder Frau noch Kind; meine Herberge sind die Moscheen, von denen nie mein Herz sich trennt, und dafür danke ich Gott, dem Herrn der Welten.«
Der trauernde Schullehrer.
Man erzählt ferner von einem Mann aus Baßrah folgendes: Ich ging einst – so erzählt er selbst – vor einem Schullehrer vorbei, der so hübsch aussah und so zierlich gekleidet war, daß ich bei ihm stehen blieb. Er stand vor mir auf, hieß mich sitzen, und ich unterhielt mich mit ihm über den Koran, über die Sprache, Poesie und Grammatik; ich fand ihn in allem sehr bewandert, und er gefiel mir so gut, daß ich ihn sehr oft besuchte und mich zu ihm setzte. Eines Tages aber, als ich ihn wieder wie gewöhnlich besuchen wollte, fand ich seine Schule geschlossen; die Nachbarn, die ich nach ihm fragte, sagten mir, es sei ihm jemand gestorben. Da hielt ich es für meine Pflicht, ihm einen Trostbesuch zu machen. Ich ging also in sein Haus, klopfte an der Tür, eine Sklavin kam mir entgegen und fragte mich, was ich wollte? »Ich will deinen Herrn sprechen.« – »Mein Herr ist in Trauer.« – »Sage ihm: Dein Freund N. N. will dich trösten.« Sie ging und meldete mich, und er erlaubte mir, ihn zu besuchen.
Als ich in sein Zimmer kam, saß er da ganz allein mit verbundenem Haupt. Ich sagte: »Gott vergrößere deinen Lohn in jener Welt! Das ist ein Weg, den jeder betreten muß, du mußt dein Unglück standhaft tragen.« Dann fragte ich ihn: »Hast du einen Vater verloren?« – »Nein.« – »Ist deine Mutter gestorben?« – »Nein.« – »Dein Bruder?« – »Nein.« – »Sonst ein naher Anverwandter?« – »Nein.« – »Wer denn?« – »Meine Geliebte.« – »Du kannst schon wieder eine andere finden, schöner als sie war.« – »Wisse, daß ich sie nie gesehen noch gehört habe.« – »Das ist sonderbar; wie konntest du sie denn lieben?« – »Ich saß am Fenster und hörte, wie ein Vorrübergehender folgenden Vers sang:
»O Mutter Amrus, Gott möge dich dafür belohnen! Gib mir doch mein Herz wieder, wie es war.«
»Da dachte ich, wäre die Mutter Amrus nicht die ausgezeichnetste Frau in der Welt, so würde man keine solche Verse für sie dichten, darum
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