Tausend und eine Nacht, Band 4
blieben. Während ich nun einmal in einem schrecklichen Hungerjahr zu Hause saß, klopfte es an meiner Tür; ich ging an die Tür, um nachzusehen, wer zu mir wollte, und siehe da, es war das Mädchen, das ich liebte, und es sagte: »Mein Freund, ich bin hungrig und erhebe mein Haupt zu dir, daß du für Gottes Sache mir etwas schenkest.« Ich erwiderte: »Weißt du nicht, was ich um deinetwillen leide und wie die Liebe zu dir mich schon so lange martert? Ich werde dir daher nichts schenken, bis du mich erhörst.« Das Mädchen antwortete: »Lieber vor Hunger sterben, als eine Sünde gegen Gott begehen«, und ging wieder fort. Nach zwei Tagen kam sie wieder und forderte wieder zu essen; ich gab ihr wieder dieselbe Antwort, nahm sie ins Zimmer und hieß sie sitzen, denn sie war sehr schwach und elend. Als ich ihr dann Speisen vorlegte, flossen Tränen aus ihren Augen und sie sagte: »Speise mich zu Ehren Gottes«, aber ich erwiderte: »Bei Gott! Nicht eher, bis du mich umarmst,« Da stand sie auf, ließ die Speisen stehen und sagte: »Ich will lieber den Tod, als die Strafe Gottes.« Nach zwei Tagen klopfte es wieder an der Tür und als ich herausging, sah ich das Mädchen wieder, und es sagte mir, mit einer von Hunger geschwächten Stimme: »Meine Kraft ist dahin, und ich vermag es nicht, von einem andern, als von dir, etwas zu fordern; speise mich doch zu Ehren Gottes.« Ich erwiderte: »Nicht eher, bis du meinem Verlangen nachgibst.« Sie trat ins Zimmer und setzte sich; da ich keine Speisen hatte, zündete ich Feuer an, kochte etwas, stellte es ihr in einer Schüssel vor und dachte: Dieses Mädchen muß doch wohl verrückt sein, da es so sehr von Hunger geplagt ist und dennoch meine Anträge verwirft; aber es verweigerte mir standhaft meine Bitte, bis ich mir selbst Vorwürfe machte über mein sündhaftes Begehren und, mich reuevoll zu Gott bekehrend, endlich sagte: »Hier hast du zu essen, fürchte nichts, ich gebe es dir im Namen Gottes.«
Als das Mädchen dies hörte, sagte es: »Mein Gott, wenn dieser Mann aufrichtig ist, so bewahre ihn vor dem Feuer in dieser und in jener Welt, du kannst ja, was du willst.« Ich ließ sie nun essen und ging, das Feuer vom Herd zu nehmen; da fiel eine brennende Kohle auf meine Füße, und durch Gottes Allmacht empfand ich nicht den geringsten Schmerz, und es fiel mir ein, daß wahrscheinlich ihr Gebet erhört worden. Ich ergriff dann eine andere glühende Kohle mit der Hand und sie brannte mich auch nicht. Da ging ich wieder zu dem Mädchen ins Zimmer und sie sagte: »Mein Gott, so wie du eben meinen Wunsch erfüllt, so erhöre auch jetzt mein Gebet und nimm meinen Geist zu dir! Du bist ja allmächtig.« Gott erfüllte auch sogleich diese Bitte. Sein Erbarmen sei mit ihr!
Der Wolkenmann und der König.
Man erzählt noch: Es lebte einst unter den Söhnen Israels ein durch seine Frömmigkeit berühmter Mann auf dem Gebirge als Einsiedler. Er betete ganze Nächte durch, und Gott gewährte ihm stets, was er von ihm begehrte. Gott stellte sogar eine Wolke zu seiner Verfügung, die ihm überall hin folgte und ihn mit Wasser versah, sowohl zum Waschen als zum Trinken. Eines Tages ließ er sich aber im Dienste des Herrn eine Nachlässigkeit zuschulden kommen; da entzog ihm Gott seine Wolke und erhörte sein Gebet nicht mehr. Der Einsiedler war sehr bestürzt, bereute sein Vergehen und entbrannte vor Sehnsucht nach der Stunde, wo ihm Gott seine Huld wieder schenken würde. Als er eines Nachts mit diesem Wunsch beschäftigt einschlief, wurde ihm im Traum gesagt: »Wünschest du, daß dir Gott deine Wolke wiedergebe, so gehe zu dem König N. N. und bitte ihn, daß er für dich bete, denn nur durch den Segen seines Gebetes wird sie dir Gott wieder gewähren.« Der Einsiedler machte sich am folgenden Morgen auf die Reise nach dem Land, das ihm im Traum angegeben worden, und erkundigte sich nach dem Palast des Königs. Als man ihn dahin führte, sah er einen Jüngling auf einem hohen Stuhl vor der Tür sitzen, der ihn fragte, was er wolle? Der Einsiedler antwortete: »Mir ist ein Unrecht geschehen, das ich dem König klagen will.« Da sagte der Pförtner: »Du kannst heute nicht zu ihm gelangen, der König hat einen besonderen Tag in der Woche dazu bestimmt, alle Bittenden anzuhören; warte also, bis dieser Tag kommt.« Als der Einsiedler hörte, wie der König so abgeschlossen von seinem Volk lebe, dachte er: Wie kann dieser Mann ein Heiliger sein? Doch wartete er, bis der bestimmte
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