Tausendschön
Alex schleppend und betrachtete ihr verkniffenes Gesicht. » Wir haben gleich ein Treffen in der Löwengrube wegen eines anderen Falles.«
» Dann sehen wir uns da«, sagte Fredrika und erhob sich.
Sie war schon draußen im Flur, als ihr einfiel, dass sie die Akte drinnen bei Alex vergessen hatte.
In der Löwengrube, wie der Besprechungsraum der Ermittlergruppe genannt wurde, waren die Gardinen zugezogen, und die Luft erinnerte an eine überhitzte Sauna. Alex riss die Stoffstücke zur Seite, die die Fenster verhängten, und musste feststellen, dass vom finsteren Himmel leichte Schneeflocken rieselten. Die Wetterfröschin im Fernsehen hatte am selben Morgen erst versprochen, das miese Wetter würde sich bis zum Abend auflösen, doch Alex hatte das ohnehin nicht geglaubt. Es war zum Verrücktwerden: Seit Neujahr war das Wetter völlig unbeständig, und Tage mit Schnee und Minusgraden wechselten sich mit Regen und Wind ab.
» Scheißwetter«, verkündete Peder, als er den Besprechungsraum betrat.
» Ja, furchtbar«, bekräftigte Alex kurz. » Kommt Joar auch?«
Peder nickte nur, und in dem Moment betrat Joar den Raum. Gleich hinter ihm kamen Ellen Lind, die Assistentin der Ermittlergruppe, und Fredrika.
Der neu installierte Projektor unter der Decke gab ein leises Hintergrundbrummen von sich, und Alex konzentrierte sich darauf, den Computer zum Laufen zu bringen. Die Gruppe wartete geduldig. Jeder von ihnen wäre besser geeignet gewesen, sich um die Technik zu kümmern, als der Chef, doch darauf hinzuweisen, wäre keine gute Idee gewesen.
» Ich habe ein paar Neuigkeiten«, sagte Alex schließlich und schob die Tastatur zur Seite. » Wie ihr sicher schon bemerkt habt, hat diese Gruppenkonstellation nicht so funktioniert, wie es ursprünglich gedacht war. Unser Ermittlerteam ist gegründet worden, um sich besonders schwerer Verbrechen anzunehmen, vor allem Fällen von Vermissten und besonders brutaler Gewaltverbrechen. Als Fredrika in Teilzeit gegangen ist, haben wir als Verstärkung Joar bekommen, wofür wir sehr dankbar sind.«
Joar begegnete Alex’ Blick, ohne etwas zu sagen. Der junge Mann hatte etwas Reserviertes und Zurückhaltendes, das Alex erstaunlich fand. Der Gegensatz zu dem geschickten, aber oft ungehobelten Peder konnte gar nicht größer sein. Zunächst hatte er das als positiv betrachtet, doch jetzt, nach nur wenigen Wochen, hegte er Zweifel. Es war offenkundig, dass Joar Peders Art zu reden ebenso anstrengend wie verletzend fand, während Peder von der Gelassenheit und Geschmeidigkeit seines neuen Kollegen frustriert zu sein schien. Wahrscheinlich würde Joar besser zu Fredrika Bergman passen, doch die war nun mal von einer Schwangerschaft gezeichnet, die ihr die Kräfte raubte. Die Krankschreibungen wegen Schmerzen und wegen mit schweren Albträumen verbundenen Schlafstörungen wanderten nur so über Alex’ Schreibtisch, und die wenigen Male, in denen Fredrika es überhaupt schaffte, ins Büro zu kommen, erschreckte sie ihre Kollegen mit ihrer kraftlosen und bleichen Erscheinung zu Tode.
» Es hat sich gezeigt, und das ist eigentlich kaum verwunderlich, dass wir, wenn es wirklich einmal darauf ankommt, zu wenige sind und Verstärkung benötigen. Stattdessen aber werden wir ständig an die Mordkommission ausgeliehen. Das hat die Frage aufgeworfen, ob wir wirklich eine dauerhafte Einrichtung sein müssen oder ob es nicht doch besser wäre, uns stattdessen auf die Kripo Stockholm oder die Reichskriminalpolizei aufzuteilen.«
Peder war am deutlichsten bestürzt. » Aber, aber …«
Alex hob eine Hand. » Es gibt noch keinen offiziellen Beschluss, aber ich möchte, dass ihr wisst, dass es diese Überlegungen gibt.«
Der Projektor hörte auf zu brummen, und es wurde still.
Alex blätterte in den Papieren, die er vor sich hatte.
» Wie dem auch sei, wir haben jedenfalls einen, nein, eigentlich zwei Fälle reinbekommen, bei denen unsere Kollegen aus Norrmalm Hilfe brauchen. Gestern Abend wurde ein Ehepaar um die sechzig, Jakob und Marja Ahlbin, in seiner Wohnung tot aufgefunden. Vielleicht habt ihr ja heute Morgen davon in der Zeitung gelesen. Ein befreundetes Ehepaar war bei ihnen zum Essen eingeladen, aber als auf ihr Klingeln hin niemand öffnete, betraten die Bekannten mit dem Ersatzschlüssel die Wohnung und fanden die Eheleute tot im Schlafzimmer. Nach dem ersten Polizeibericht, der in großen Teilen auf einen Abschiedsbrief des toten Ehemannes basiert, soll er zunächst seine Ehefrau und
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