Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
eigentlich im Bett liegen sollte? Hat sie nicht? Oje. Ja, Liebes, danke dir.” Sie legte auf und schenkte Grimes einen Blick, den er nicht deuten konnte. Wut oder Erleichterung?
“Sie war nicht in ihrem Zimmer. Soweit ihre Mitbewohnerin das sagen kann, hat sie auch die letzte Nacht nicht dort verbracht. Ich nehme an, das bedeutet, dass sie bei einem ihrer vielen männlichen Freunden übernachtet hat.” Ein selbstgerechtes Schnauben zeigte an, dass die Schwester mit diesem ungeheuren Verhalten offensichtlich nicht einverstanden war. “Viele Mädchen hier tun das.”
“Sie wissen, dass Noelle einen Freund hat?”
“Nun ja, nein, das weiß ich nicht. Ich nahm nur …”
“Rufen Sie die Nummer noch mal an. Ich muss mit der Mitbewohnerin sprechen. Sagen Sie ihr, wir müssen uns mit ihr treffen. Sofort. Los, wählen Sie schon. Und dann bringen Sie mich zu ihrem Wohnheim.”
Die Frau begann schon, ihre Lippen zu einem Protest zu formen, aber hob dann doch einfach den Hörer ab und wählte. Sie bekam erneut die Mitbewohnerin an den Apparat und bat sie, sich unten vor dem Wohnheim mit ihnen zu treffen. In der Sekunde, als sie aufgelegt hatte, griff Grimes nach ihrem Arm und schob sie in Richtung Tür, bevor sie noch irgendetwas sagen konnte. Wenige Augenblicke später saß sie neben ihm im Auto und wies ihm die Richtung zu den Studentenheimen. Mit jeder Sekunde wurde Grimes das Herz schwerer, bekam er immer mehr das Gefühl, dass Noelle Pazia nicht bei einem Freund übernachtet hatte, sondern in Louisville, Kentucky, auf einem Feld neben der Straße lag.
Er stieg aus und ging zum Eingang des Wohnheims. Eine hübsche Rothaarige stand an der Tür, einen bunten Schal um den Hals geschlungen, dessen Enden beinahe bis zu ihren Knien reichten. Sie sah besorgt aus, und sobald er in Hörweite war, hörte er sie fragen: “Wo ist Noelle?”
“Ich weiß es nicht. Ich habe gehofft, Sie könnten mir weiterhelfen.”
“Ich habe die Nacht bei meinem Freund verbracht.” Ein weiteres, gut hörbares Schnauben von der Krankenschwester folgte, und Grimes drehte sich zu ihr um und drohte mit erhobenem Finger, ihn ja nicht zu unterbrechen.
“Erzählen Sie weiter”, bat er die Studentin.
“Er wohnt in der Stadt, er ist Künstler”, fuhr die Rothaarige fort. “Noelle war nicht da, als ich heute Morgen so gegen acht nach Hause kam. Ihr Bett war gemacht, aber das ist es immer, und sie steht auch immer sehr früh auf, sodass mir auch das nicht komisch vorkam. Ich nahm an, sie wäre zum Frühstücken gefahren. Aber sie ist seitdem nicht wieder im Zimmer gewesen.”
“Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?”
“Ich hab Noelle das letzte Mal gestern Morgen gesehen. Sie wollte noch mal zum Gesundheitszentrum, um sich Medikamente zu holen und es danach etwas langsamer angehen zu lassen. Sie hat dieses Semester echt einen Haufen Arbeit, und so hat sie die meiste Zeit damit verbracht, zu lernen. Entweder alleine oder in Gruppen. Sie hätte gestern Abend ihre Lerngruppe in der Bibliothek gehabt. Ich kann nur vorschlagen, dass Sie vielleicht mit denen mal reden. Hier ist eine Liste mit den Telefonnummern. Noelle hatte sie an der Kühlschranktür hängen. Bitte sagen Sie mir, dass es ihr gut geht. Ihr Vater flippt aus, wenn ihr irgendetwas passiert ist. Sie ist ein zu gutes Mädchen; ehrlich, trinkt nicht, geht nicht mal mit Jungs aus. Sie ist wirklich nur hier, um zu studieren.”
Grimes schenkte der Krankenschwester einen bösen Blick. Sehen Sie, besagte dieser, sie war nämlich doch nicht bei einem Freund. Er war bereit, auf ihre weitere Gesellschaft zu verzichten. “Tun Sie mir bitte einen Gefallen, ja? Gehen Sie zurück zum Gesundheitszentrum. Ich werde Sie anrufen, wenn ich noch etwas brauchen sollte”
“Sehr gerne”, schnaubte die Frau und stapfte davon.
Grimes nahm die Liste von Noelles Mitbewohnerin. Er lehnte sich an die Motorhaube des Autos und klappte sein Handy auf. Die Mitbewohnerin verstand den Wink und schaute auf die Liste, fuhr mit dem Finger die Namen entlang und tippte auf den letzten. Dort würde sie anfangen.
Grimes erwischte zwei Anrufbeantworter, bevor ein Junge mit einem indischen Akzent ans Telefon kam.
“Hier ist Harish?” Er betonte die Sätze so, dass sie alle wie eine Frage klangen.
“Hier ist Special Agent Grimes vom FBI. Haben Sie Noelle Pazia heute gesehen?”
“Noelle? Nein, habe ich nicht? Sie hat unsere Lerngruppe letzte Nacht verlassen? Ich habe sie nach der Pause nicht mehr
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