Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
mit dem Kugelschreiber aus und schaffte es, sie in den Beutel fallen zu lassen, ohne sie anzufassen. Danach packte er das Blatt Papier vorsichtig an einer Ecke und ließ es ebenfalls in den Beutel gleiten. Vielleicht konnten sie dieses Mal Fingerabdrücke sicherstellen, man konnte ja nie wissen. Auf jeden Fall würden sie nicht weniger tun, als irgend möglich war.
Grimes ging zurück zu seinem Auto, verließ den Campus und fuhr zu seinem Hotel. Das Foto von Noelle Pazia lag mit dem Gesicht nach oben auf seinem Beifahrersitz. Noelles Augen starrten ihn an, anklagend, traurig, einsam, und er hatte Angst um sie. Bald würde er es genau wissen.
Er klappte sein Handy auf und wählte eine Nummer, die er auswendig kannte. Ein Mann nahm den Anruf entgegen.
“Ich bin’s”, sagte Grimes.
“Hey, Dad, was gibt’s? Hast du was Neues für mich?”
“Hab ich. Ich hab gerade herausgefunden, dass ein Mädchen namens Noelle Pazia aus Asheville vermisst wird. Außerdem hat man in Louisville, Kentucky, eine Leiche gefunden. Ich nehme an, dass es sich um Noelle handelt. Den Rest musst du alleine rausfinden.”
“Danke, Dad, ich weiß das zu schätzen. Muss jetzt los. Kann die Infos gleich über den Äther schicken.” Die Leitung war tot.
So ist mein Leben, dachte Grimes. Ich hab den Fall vermasselt, weil ich die Gedichte nicht gleich gefunden habe; meine Frau ist seit Monaten fort; eine verwöhnte Tochter, die nie mit mir spricht, außer wenn sie Geld braucht; ein Sohn, der mich benutzt, weil ich ihm Insiderinformationen geben kann – und damit seiner Karriere als aufstrebender Nachrichtenproduzent in New York helfe. Baldwin würde ihn umbringen, wenn er wüsste, dass er die undichte Stelle war. Tja, Pech gehabt, Mr. Perfekter Profiler.
Er bog auf den Parkplatz des Hotels ein und stellte den Wagen ab. Mit dem Bild von Noelle in der Hand ging er zur Rezeption. Die Informationen vom Büro in Louisville sollten inzwischen eingetroffen sein. Vielleicht hatte Mr. Perfect Baldwin ja auch ein paar hilfreiche Profilingtipps geschickt.
“Haben Sie ein Fax für mich? Grimes, FBI?”
Der Mann hinter dem Tresen warf ihm einen grimmigen Blick zu. “Hab ich, Sir, und ich muss Sie bitten, zukünftig davon abzusehen, derartiges Material über unsere Faxnummer schicken zu lassen. Es ist einfach abscheulich. Ich werde so etwas nicht mehr dulden, und mein Manager …”
“Halten Sie den Mund und geben Sie mir das Fax.” Grimes war so am Ende mit seiner Geduld, dass er dem großmäuligen Typen am liebsten den Mund gestopft hätte. Vielleicht könnte er zwischen der Krankenschwester vom College und diesem Kerl hier ein Date vereinbaren …
Der Mann stolzierte am Tresen entlang und in ein rückwärtig gelegenes Büro. Einen Augenblick später kam er mit einem großen Umschlag zurück. “Hier”, zischte er dramatisch. Grimes lächelte ihn einfach nur an und klemmte sich den Umschlag unter den Arm. Dann ging er hinüber zur Bar und bestellte sich einen Scotch. Sekunden später stand das Glas vor ihm, er nahm einen großen Schluck und versuchte, seine Nerven zu beruhigen. Er wollte nicht wissen, ob Noelle Pazia tot war. Er wollte sich diese tiefen braunen Augen nicht in stumpf und grau vorstellen. Aber er hatte keine Wahl. Er konnte ja schlecht den Barkeeper bitten, die Fotos miteinander zu vergleichen.
Also schluckte er den flüssigen Mut in einem Zug hinunter, holte das Foto hervor, das Noelles Mitbewohnerin ihm gegeben hatte, und legte es auf die Bar. Er hielt den Umschlag über das Foto und öffnete ihn. Bei dem Anblick wollte er sich am liebsten übergeben.
Keine Frage, Noelle Pazia war tot.
Er wandte den Blick von der Akte ab und schaute zum Barkeeper, bedeutete ihm, noch eine Runde zu bringen. Der Mann schob ihm die Flasche zu, als wenn er beschlossen hätte, dass es die Zeit nicht lohnen würde die es brauchte, das Glas wieder und wieder zu füllen. Grimes nickte seinen Dank und goss das Glas bis zum Rand voll. Seine Hände zitterten, als er es zum Munde hob. Er musste Baldwin anrufen, ihm die Bestätigung geben. Aber bevor er dazu kam, klingelte sein Telefon.
Das Telefonat dauerte nicht lange. Als er auflegte, starrte er ungläubig auf sein Telefon, alle Gedanken an Baldwin hatten sich in Luft aufgelöst. Er legte das Handy auf die eichene Bar. Dann zog er sein Ausweismäppchen hervor; sein Blick blieb an der FBI-Marke hängen. Alles, was ihm etwas bedeutete. Redlichkeit, Treue, Mut. Ah, dieser verdammte Fall.
Er wollte
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