Taylor Jackson 02 - Der Schneewittchenmörder
technisch gesehen keine „Suche“ mehr. Die Feuerwehren von Nashville, die Gesichter aschfahl und ausgezehrt, hatten die Notfallrettungsstaffel angefordert. Leichenspürhunde suchten an den Uferbänken, zwei schwarze Labradore zitterten in den Booten auf dem eisigen Fluss. Ein Spezialsonar war zu Wasser gelassen worden, das ihnen helfen würde, in dem trüben, schnell fließenden Wasser zwischen einem Baumstamm und einer Leiche unterscheiden zu können.
Niemand musste es laut aussprechen. In so kaltem Wasser hatte Taylor nicht länger als fünf Minuten überleben können. Die Logik sagte einem, dass ihre Leiche irgendwo da draußen sein musste. Sie konnten jetzt nur noch das Sonar anschalten und gucken, was sie erkennen konnten. Was leider absolut gar nichts war. Nach vielen Stunden wurde angeordnet, den großen Rechen einzusetzen. Die Helfer taten alles, was in ihrer Macht stand, um die Leiche zu finden, bevor sie die kräftige Strömung nordwärts in Richtung Kentucky abtreiben konnte.
Baldwins Gesicht war hart, erschöpft. Falten hatten sich tief um seine Augen hineingegraben, wie eine Quarzader in einen paläolithischen Stein. Taylors Mord, wenn er es denn über sich bringen würde, es so zu nennen, hatte sein Herz eingefroren. Er atmete nur, wenn ihm auffiel, dass er es nicht tat. Ob der Schmerz jemals enden würde? Er wusste es nicht. Hilflos stand er da, seine Hände umklammerten das Geländer, der Dezemberwind wirbelte sein Haar durcheinander, und er kämpfte mit sich, nicht in den Fluss unter sich zu springen. Er hatte gebeten, im Tauchteam mitzumachen, aber klugerweise war ihm diese Bitte abgeschlagen worden.
Mord. Das war das einzige Wort dafür. Sie war sicher nicht zufällig mitten im Winter in diesem Fluss gelandet.
Die Gäste waren von der Kirche aus nach Hause geschickt worden. Die Hochzeitsgesellschaft, starr vor Sorge, hatte sich in die Büros der Mordkommission begeben. Anrufe wurden getätigt, Personen aufgespürt. Der Limoservice wurde beinahe komplett auf den Kopf gestellt. Der Wagen, der losgeschickt worden war, um die Braut in die Kirche zu befördern, stand auf dem Firmenparkplatz. Es gab zwei schwerwiegende Probleme. Zum einen gab es keine Spur von Taylor in dem Auto. Die Bänder der Überwachungskameras aus dem Hermitage Hotel zeigten, dass das Kennzeichen nicht mit dem der vermeintlich gemieteten Limousine übereinstimmte. Es war also eine Falle gewesen. Lincoln versuchte, eine Liste aller anderen Limousinen in der Gegend zusammenzustellen und die Kennzeichen zu vergleichen.
Der für die Fahrt engagierte Fahrer war schon lange fort, verschwunden in der Nacht. Eine Überprüfung seines Bankkontos ergab eine Einzahlung in Höhe von fünftausend Dollar und eine Kreditkartenbelastung für einen Flug nach Mazatlán. Das Flugzeug war um vier Uhr am Nachmittag gestartet, zur gleichen Zeit, als die Hochzeit in vollem Gange sein sollte. Ein Mann, auf den die Beschreibung des Fahrers passte, war rechtzeitig an Bord des Fliegers gegangen. Sie hatten Videobänder vom Flughafen, die das bestätigten. Man ging davon aus, dass er dafür bezahlt worden war, die Stadt zu verlassen.
Nach Stunden fruchtloser Suche ohne ein noch so kleines Zeichen von Taylor lösten sich die Spuren langsam in nichts auf. Der gefürchtete Anruf war kurz vor 22:00 Uhr gekommen. Ein weißer Satinpumps war am westlichen Ufer des Cumberland River gefunden worden. Fotos bestätigten, dass er zu dem Paar passte, das Taylor getragen hatte. Größe und Farbe stimmten mit den Angaben auf dem leeren Karton in ihrer Hotelsuite überein. In diesem Augenblick blieb für sie alle die Zeit stehen.
Baldwin nahm einen Schluck Kaffee aus dem Becher mit dem Tigermarkt-Logo. Irgendeine freundliche Seele versorgte die Truppen aus einem örtlichen Supermarkt. Er hatte keine Ahnung, wer. Er war schon früher Teil eines Rettungsteams gewesen. Wenn sie nicht bald etwas fanden, würden sie zu irgendeinem Zeitpunkt aufhören müssen, den Fluss aktiv zu durchkämmen. Die Bergungsmannschaft würde so lange suchen, bis sie die Leiche gefunden hatte. Das mochte nicht unbedingt in unmittelbarer Zukunft sein, aber die Gezeiten hatten so ihre eigene Art, das wieder auszuspucken, was nicht in den Fluss gehörte.
Doch die Unausweichlichkeit der Natur war für Baldwin kein Trost. Verschiedene Szenarien spielten sich in seinem Kopf ab. Bilder von Taylors mit Leichenwachs überzogenem Körper, der in einem Monat zwanzig Meilen den Fluss hinunter
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