Taylor Jackson 03 - Judasmord
schätzen. Er kannte sie gut genug, um zu wissen: Wenn sie das Gefühl hatte, beobachtetzu werden, dann wurde sie es auch.
„Meinst du Schneewittchens Lehrling? Entschuldige, der Thronfolger?“ Das letzte Wort setzte er mit seinen Fingern in Anführungszeichen. „Warum nennt er sich überhaupt so? Das kommt mir irgendwie herabwürdigend vor.“
„Ich denke, er hat es auf etwas abgesehen, so wie der Thronfolger auf den Thron. Jemand, der eigentlich regieren sollte, dem aber durch widrige Umstände seine Regentschaft entrissen wurde. Ein selbst ernannter König der Serienmörder. Keiner hat gesagt, dass er nicht eingebildet ist.“ Sie trank einen Schluck Tee und schaute sich unruhig um.
„Nein, ich glaube nicht, dass er es ist. Ich weiß nicht, wieso, aber es fühlt sich anders an. Irgendwie falsch. Die Haare in meinem Nacken stehen mir zu Berge, und ich kann es spüren, weißt du? Es ist so seltsam. Ach, zum Teufel. Ich bilde mir das bestimmt nur ein. Ich bin sicher, da ist nichts.“
„Wem willst du jetzt was vormachen?“
Sie lächelte. „Ich weiß. Es wird schon wieder. Ich bin mir dessen bewusst, und das sind doch schon neun Zehntel der Lösung. Also willst du mit mir zum Haus der Wolffs kommen? Dann können wir uns noch einmal umschauen, bevor wir Todd erneut befragen.“
„Warum nicht. Ich habe sowieso nichts Besseres zu tun. Gehen wir.“
Das Hillwood-Viertel, in dem die Wolffs lebten, lag an diesem Dienstagmittag still da. Es war wesentlich ruhiger als am Tag zuvor. Das Flatterband war noch quer über die Auffahrt gespannt, und ein Streifenpolizist saß still in seinem Wagen vor dem Briefkasten, um mögliche Schaulustige davon abzuhalten, den Tatort zu betreten.
Bis das Haus offiziell freigegeben war, musste jemand Wache halten. Taylor hoffte, dass es heute so weit wäre, denn es war sinnlos, Ressourcen zu vergeuden, die anderswo gebraucht wurden.
Sie parkte hinter dem Streifenwagen. Der Officer stieg aus, als auch sie und Fitz den Impala verließen. Es war ein offizieller Tatort, also brauchten sie auch ein offizielles Fahrzeug. Sie war nie ein großer Freund der Impalas gewesen, aber was sollte sie machen? Man konnte den Chief ja schlecht fragen, ob er der Truppe einen Porsche zur Verfügung stellte. Wenigstens hatte der Chevy ein paar PS unter der Haube und konnte mithalten, wenn es mal heftiger wurde. Andersals der Mercury, den sie in ihren Anfangsjahren als Detective hatte fahren müssen.
Fitz hatte mit dem Polizisten eine Unterhaltung über das regionale Barbecue-Wettgrillen angefangen, was Taylor Gelegenheit gab, sich das Haus der Wolffs einmal ganz in Ruhe anzuschauen. Oberflächlich betrachtet war es nicht anders als gestern. Ein hübsches zweigeschossiges Haus aus hellbraunen Backsteinen mit einer kleinen weißen Veranda am Eingang und blauen Fensterläden an den vier symmetrisch rechts und links neben der Tür angeordneten Fenstern, hinter denen die Gardinen zugezogen waren. Ein Schornstein erhob sich an der linken Seite – er gehörte zu dem Kamin im großen Zimmer.
Taylor war aufgefallen, dass sowohl die Wolffs als auch Mrs Manchini in ihren Häuser Gaskamine hatten. Es war schwierig, in Nashville neuere Häuser zu finden, die einen echten Kamin zum Verfeuern von Holz hatten. Taylor hatte Baldwin von Anfang an gewarnt, dass sie sich auf gar keinen Fall mit einem Gaskamin zufriedengeben würde. Hübsch, bequem, leicht zu handhaben – ja, das stimmte alles, aber Taylor war das Original doch lieber: der Geruch von brennendem Ahornholz oder das Knacken von Eiche. Sie liebte den ganzen Vorgang des Kaminanzündens, ein wenig Anmachholz und Papier aufschichten, dann die Holzscheite darauf stapeln. Sie machte sich lieber etwas Mühe, als auf künstlich glühende Kohlen und falsche Flammen zu schauen.
Bei näherer Betrachtung erkannte sie einen leichten farblichen Unterschied zwischen dem oberen und dem unteren Teil des Hauses. Er war nur bei einem ganz bestimmten Lichteinfall zu sehen. Nun, das ergab Sinn. Dieser Teil der Stadt mit seinen atemberaubenden, riesigen Grundstücken und alten Bäumen hatte seine eigene Renaissance erlebt. Der Reiz, ein wenig Land zu besitzen, war groß in Davidson County. Die meisten der Originalhäuser in diesem Viertel waren wie Mrs Manchinis eingeschossiges Häuschen, das im Vergleich mit den erst kürzlich errichteten neuen Villen nahezu winzig wirkte.
Eine Armee an Architekten war in den letzten Jahren durch Hillwood gezogen und hatte alten und
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