Taylor Jackson 03 - Judasmord
aus. Tagsüber war das Parthenon eine Touristenattraktion und ein beliebter Spazierweg. Die Menschen tobten mit ihren Hunden über den Rasen, picknickten unter den riesigen Eichen und bewunderten denperfekten Nachbau griechischer Architektur.
Der kalte Schauer breitete sich weiter in Taylors Körper aus. Abgesehen von den Polizisten war der Centennial Park seltsam leer. Der Anblick des Parthenons weckte normalerweise nostalgische Gefühle in ihr; es war kein Schuljahr vergangen ohne einen Besuch des bekanntesten Wahrzeichens der Stadt Nashville. Im Kopf ging sie die Informationen durch, die ihr auf jedem dieser Ausflüge eingebläut worden waren: gebaut 1897, um die Besucher der Hundertjahrfeier zu beeindrucken und den Ruf der Stadt als „Athen des Südens“ widerzuspiegeln. Eigentlich war das Parthenon nur als temporärer Bau gedacht gewesen, doch die Bürger Nashvilles ließen es einfach stehen. Im Jahr 1931 wurde es als dauerhaftes Monument noch einmal neu aufgebaut. Die massiven Bronzetüren beschützten die größte, nicht im Freien stehende Statue der westlichen Welt: eine Replik von Phidias kolossaler Statur von Athene, Göttin der Weisheit, der Kriegsführung und der Künste. Sie war von dem Nashviller Künstler Alan LeQuire geschaffen worden. Das Kunstmuseum im Parthenon wurde auf der ganzen Welt respektiert. Erst letzten Monat hatte Taylor hier eine Ausstellung besucht.
Jetzt wirkten die Säulen, die das mit einem Fries versehene Dach trugen, Unheil verkündend. Das Gebäude stand einsam und verlassen da, entehrt durch einen ungebetenen Tod, Schauplatz eines modernen Opferrituals. Taylor musste sich zwingen, aus dem Wagen auszusteigen, um Fitz zu begrüßen, der ihnen entgegengekommen war, sobald er das Auto gesehen hatte.
Er hielt etwas in der Hand.
Taylor trat vom Auto weg und schaute Fitz an. „Wer?“
Sie erhaschte einen Blick auf das Foto, das er in Händen hielt. Es war eine Nahaufnahme von einem nackten Oberkörper. Sie konnte oben gerade noch die Umrisse des Schlüsselbeins erkennen …
Die Temperaturen waren nicht gestiegen, dennoch spürte Taylor, wie ihr der Schweiß ausbrach. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit der Versammlung von Polizisten zu, die knappe zehn Meter entfernt standen. Dann zwang sie sich, ganz langsam zu gehen und möglichst unbeteiligt zu wirken. Doch innerlich war sie wie erstarrt vor Angst.
Die Leiche war nackt und kunstvoll so drapiert, dass sie an der oberen Treppenstufe lehnte. Ein unachtsamer Passant würde es überhaupt nicht bemerken und sie für eine spärlich bekleidete Personhalten, die gerade ein Nickerchen machte.
Bei näherem Hinsehen erkannte man dichtes, braunes Haar, offene, aber nichts sehende Augen, die bereits von einem leicht milchigen Schleier überzogen waren. Ein silberner Draht, die Enden fachmännisch miteinander verwickelt, hatte sich tief in den Hals des toten Mannes gegraben. Das Ende des Drahts war kunstvoll gebogen und erinnerte Taylor an die Doggybags aus den schicken Restaurants, in die sie ihre Eltern als Kind mitgenommen hatten. Dort hatte man die Alufolie stets zu Schwänen oder Fächern gefaltet. Sie kämpfte gegen die Übelkeit an, die in ihr hochstieg.
An die nackte, haarlose Brust des Mörders, den sie nur unter dem Namen Aiden kannte, war ein Stück Papier genagelt. Eine Rolle Pergament, alt und vergilbt, über die ein einzelner roter Blutstropfen gelaufen war. Die Handschrift war spinnenartig und altmodisch. Als Taylor den Text las, stockte ihr der Atem.
Hochverehrter Lieutenant,
die Welt ist dank Ihnen ein besserer Ort. Betrachten Sie diese
kleine Gefälligkeit als Zeichen meiner Wertschätzung und
immerwährenden Bewunderung.
Der Pretender
Verflucht.
„Wie lange ist er schon hier?“, fragte sie und staunte über die Kraft in ihrer Stimme. Sie traute sich nicht, Baldwin anzusehen. Obwohl er einen Meter von ihr entfernt stand, konnte sie spüren, wie die Gedanken in seinem Kopf herumwirbelten. Sie musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er ebenfalls verblüfft war.
„Nicht lange“, erwiderte Fitz. „Die Rechtsmedizin hat ein Team losgeschickt, das sollte jeden Augenblick hier sein. Der erste Officer am Tatort hat berichtet, dass er am Handgelenk nach dem Puls gefühlt hat; die Leiche war noch warm. Er lag in der Sonne, aber es kann nicht mehr als eine Stunde her sein. Eine Joggerin ist ein paar Mal die Treppe hinauf- und heruntergelaufen und hat ihn dabei entdeckt. Sie hat sofort die Polizei gerufen. Ich habe
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