Tegernseer Seilschaften
mir das wehtut, weil der Ferdl ein guter Bekannter von mir war und ein richtiger Einheimischer, muss ich sagen: Wenn hier einer tot an einem Baum im Wald hängt, und wenn es auch der Ferdl ist, dann hat der sich da selber hingehängt. Das ist sicher. Wie soll denn irgendein Mörder den schweren Kerl da hoch an den Baum hängen? Der Ferdl war über eins achtzig. Wie soll das gehen?«
»Es könnten ja mehrere gewesen sein«, warf Sepp Kastner ein. »Mehrere könnten ihn getötet und hochgehoben haben.« Kastner sagte dies nicht, weil er überzeugt war, dass Nonnenmacher falschlag, sondern weil er dieser Anne Loop beispringen wollte, die einfach eine Wucht war, als Frau, als Kollegin, als Mensch. Eine echte Erscheinung eben.
Anne spürte, dass sie jetzt nicht insistieren durfte, sonst würde die Atmosphäre gleich von Anfang an und irreparabel vergiftet sein. Sie dachte kurz an ihre Tochter, an Bernhard, an den Plan, hier mindestens einige Jahre zu bleiben, und beschloss, einen Gang zurückzuschalten.
»Gut, Herr Nonnenmacher, ich verstehe. Ich bin ja auch in erster Linie hier, um weiter dazuzulernen. Und von einem erfahrenen Beamten wie Ihnen kann ich natürlich nur lernen.« Nonnenmachers Gesichtszüge schienen sich etwas aufzuhellen.
»Aber darf ich mich trotzdem noch ein bisschen mit der Akte beschäftigen?« Jetzt klang Anne wie ein Mädchen, das darum bat, dass ihm jemand die Schnürsenkel band. Allen im Raum war völlig klar, dass Nonnenmacher ihr diese Bitte auf keinen Fall abschlagen konnte, auch wegen dieses Tonfalls in ihrer Stimme. Er nickte nur. Sollte sie nur machen. Augenblicklich gab es sowieso nichts Dringliches zu tun.
Als Anne die Tür aufsperrte, roch sie es gleich: Bernhard hatte gekocht, Schnitzel mit Gurken-Kartoffel-Salat. Ihrer aller Lieblingsspeise.
Sie ging in die Küche, wo er gerade den Schnittlauch für den Salat schnitt. Lachend fragte er sie: »Und? Wie war dein erster Arbeitstag?« Sie umarmten sich.
»Maaama, du musst in mein Zimmer kommen, ich habe schon alle meine Bücher eingeräumt. Wann baust du meinen Schreibtisch auf?«, schallte Lisas Stimme durch das Haus.
»Jetzt essen wir erst einmal.«
Als sie saÃen, erkundigte sich Bernhard erneut: »Und, wirst du es hier ein paar Jahre aushalten? Wie ist der Nonnenmacher?«
Anne zögerte kurz, bevor sie sagte: »Er ist mir sehr sympathisch, aber er macht das hier vielleicht schon einen Tick zu lange. Die haben heute einen Bauern aus dem Dorf aufgehängt im Wald gefunden und haben diesen Fall nach einem halben Tag â stell dir das mal vor! â, nach nur einem halben Tag ad acta gelegt. So etwas muss man doch aufklären. Das kann doch auch eine Straftat sein!«
»Du meinst, es war Mord?«
»Was weià ich, aber man muss es ordentlich prüfen. Die haben nicht eine einzige ernst zu nehmende Zeugenbefragung gemacht. Die sind da einfach hin, haben gesehen, da hängt der Ferdinand Fichtner am Baum, aha, der ist tot; aber Nonnenmacher sagt, hier am Tegernsee gäbe es keine bösen Menschen, also müsse sich der Mann selbst umgebracht haben. So geht das doch nicht!«
»Warum könnte er sich denn umgebracht haben?«
»Das ist ja der Witz: Die haben nicht einmal nach einem Motiv gesucht!«
»Das ist allerdings komisch. Meinst du, die wollen was verbergen?«
»Mama, die haben im Kindergarten eine Turnhalle«, schaltete Lisa sich ein.
»Echt? Ja, jetzt erzähl mal, wie warâs?«
»Schon schön, aber ich kann da wahrscheinlich nicht mehr hingehen.«
»Wieso nicht?«
»Weil ich lieber bei euch zu Hause bin.«
»Wie meinst du das?«
»Ich finde es bei euch eben schöner. Deswegen habe ich beschlossen, dass ich nicht mehr in den Kindergarten gehen werde.«
Anne war kurz irritiert über die selbstständige Art, mit der ihre Tochter neuerdings Entscheidungen traf.
»Ja, aber du musst doch in den Kindergarten. Ich muss doch auch arbeiten. Und nachmittags bist du dann sowieso immer bei Bernhard und kannst im Garten spielen. Noch ein paar Wochen, dann kann man sogar schon im See schwimmen â¦Â« Sie strich Lisa über die Haare, die im Gegensatz zu ihren ganz blond waren, und sagte dann: »Also, morgen gehst du auf jeden Fall noch einmal hin.«
»Sag mal, kennst du die Familie Fichtner zufällig von früher?«, fragte Anne später, als
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