Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tegernseer Seilschaften

Tegernseer Seilschaften

Titel: Tegernseer Seilschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
Vom Netzwerk:
Lisa schon im Bett lag und sie und Bernhard im Wohnzimmer Kisten auspackten.
    Bernhard schob ein Buch ins Regal und schaute Anne nachdenklich an.
    Â»Fichtner? Da gibt’s, glaube ich, mehrere hier in der Gegend. Was war der von Beruf?«
    Â»Bauer.«
    Â»Wie alt?«
    Â»Neunundvierzig. Verheiratet, zwei Söhne, Hannes, zweiundzwanzig, und Andreas, vierundzwanzig.«
    Â»Andreas Fichtner? Der Andi? Studiert der nicht Geschichte in München? Den kenne ich, glaube ich. Der hat sich, wenn ich ihn jetzt nicht verwechsle, mal bei mir gemeldet, weil er ein Zimmer gesucht hat. Ich glaube, das war der Andi. Der war eher schüchtern, aber das ist mindestens schon vier Jahre her. Ich weiß nicht mal, ob der noch studiert.«
    Â»Bernhard, was soll ich denn jetzt tun? Ich kann das doch so nicht stehen lassen, ich meine, das ist handwerklich doch total verhunzt, wenn die diesen Fall einfach ohne Ermittlung abschließen.«
    Â»Was steigerst du dich jetzt eigentlich so rein? Du hast hier doch gerade erst angefangen. Und außerdem: Was sagt dir denn, dass da was faul ist?«
    Â»Ich weiß nicht, ich habe einfach so ein komisches Gefühl bei der Sache.«
    Als Anne am nächsten Morgen von Tegernsee aus um den See herum in die Bad Wiesseer Dienststelle radelte, tropfte es von allen Dächern. Es war über Nacht um fünf Grad wärmer geworden. Doch Wallberg, Pfliegeleck, Riederstein und auch der Semmelberg waren noch schneebedeckt.
    Â»Achtung!«, rief Sepp Kastner ihr entgegen, kurz bevor Anne am Vordereingang der gelb gestrichenen Polizeiinspektion ankam. Anne stoppte und schaute ihn erstaunt an. Kastner zeigte nach oben. »Da kommt gleich eine Dachlawine runter. Wäre doch schade, wenn es dich – äh, Sie – erwischen tät’.«
    Während Anne das Fahrrad abstellte, schüttelte sie innerlich den Kopf über Kastner. Doch als die beiden bereits im lichtdurchfluteten Treppenhaus waren, machte es einen lauten Rums.
    Â»Das war sie«, sagte Kastner triumphierend. »Habe ich Sie gerettet, Frau Loop.«
    Â»Haben Sie mich gerettet, Herr Kastner, ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
    Kastner wurde rot.
    Â»Was meinen Sie denn: Warum hat sich der Fichtner umgebracht?«
    Sepp Kastner fühlte sich, da er nach seiner Meinung gefragt wurde, geehrt und holte weit aus: Er erinnerte Anne an die Kämpfe um die Milchpreise in den vergangenen Jahren. Wies sie darauf hin, dass es den Bauern immer schlechter und schlechter gehe, dass die Forderung nach mindestens vierzig Cent pro Liter nicht nur Propagandageschrei des Bauernverbands sei, sondern dass diese Preishöhe auch aus seiner Sicht wirklich notwendig sei, um den Bauern das Überleben zu sichern. Dass die Discounter und die Milchindustrie immer mehr dazu übergingen, die Bauern zu erpressen, und dass es äußerst schwierig sei, als Bauer überhaupt noch von der Milch zu leben, gerade, wenn man nur einen eher kleinen Hof habe, wie es bei Fichtner der Fall gewesen sei. Das wisse er von seinem Onkel, der auch noch einen Hof habe. Wer heute als Landwirt überleben wolle, müsse das anders als der Fichtner machen. Andere Bauern im Tal zum Beispiel hätten schon frühzeitig neu gebaut, da gebe es jetzt außerhalb der Gemeinden schon Ställe, die sähen aus wie Hotelschwimmbäder, und dort würden die Kühe automatisch gefüttert, gemolken und geputzt, das spare Zeit und damit Geld; andere Bauern hätten umgestellt auf Biogas, Zuerwerb oder exklusiven Tourismus mit allem Pipapo, auch Urlaub auf dem Bauernhof in größerem Stil sei ein Ding, mit dem man sich als Landwirt noch über Wasser halten könne. Echte Bauern gebe es jedoch in Tegernsee ohnehin nicht mehr viele, und auch im Rest des Tals hätten sich touristische Geschäfte als wesentlich lukrativer erwiesen. Er, Sepp, könne sich vorstellen, dass der Fichtner einfach nur Angst bekommen habe, wegen der Zukunft und allem.
    Dann fügte er hinzu: »Aber das ist jetzt nur so eine Vermutung von mir, weil sicher wissen tu’ ich nichts, weil …«
    Â»â€¦Â niemand die Familie befragt hat«, vollendete Anne den Satz.
    Â»Ja genau, aber es gab ja auch keinen Hinweis auf eine Straftat. Der Arzt hat auch alles normal gefunden.«
    Â»Der Arzt war aber kein Rechtsmediziner, sondern der Kurarzt.«
    Â»Ja, das stimmt. Aber wissen Sie, das wär’ so kompliziert gewesen,

Weitere Kostenlose Bücher