Tegernseer Seilschaften
die Rechtsmedizin kommt ja jetzt wegen so etwas nicht extra aus München her, sondern wir hätten denen die Leiche vom Fichtner bringen müssen, und dann hätten die sie in München obduziert. Das hätte ja viel länger gedauert. Und auÃerdem, wenn wir hier ermitteln täten wie in einem Mordfall, da könnten die Leutâ ja denken, es gäbâ tatsächlich einen Mörder am Tegernsee â was hätte das für Auswirkungen auf die Bevölkerung!«
»Ihnen ist es also lieber, wenn niemand darüber redet und alle heititeiti machen, dafür aber ein Mörder frei herumläuft.«
»Nein, nein, aber der Kurt, also der Chef, hat das jetzt halt so entschieden.«
Die beiden hatten inzwischen ihre Jacken aufgehängt und sich an die Bürotische gesetzt.
»Ich kann das so nicht akzeptieren«, sagte Anne. »Wir haben â auch unabhängig von den Weisungen unserer Vorgesetzten â Verantwortung zu übernehmen, Prinzipien zu beachten. Und eines der obersten polizeilichen Prinzipien ist die Aufklärungspflicht. Ich finde, wir sollten wenigstens ein paar Zeugen vernehmen, um herauszufinden, ob ein Motiv für Selbstmord vorliegt.«
Bevor Anne in Nonnenmachers Zimmer trat, klopfte sie dreimal.
»Herein!«, rief Nonnenmacher. »Guten Morgen. Wir hatten doch ausgemacht, dass wir hier nicht anklopfen. Was gibtâs, Frau Loop?«
»Herr Nonnenmacher, ich habe mir alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ich finde, wir sollten wenigstens ein paar Zeugen, zumindest aber die beiden Söhne und die Frau von Herrn Fichtner vernehmen, um herauszufinden, ob es denn überhaupt ein Selbstmordmotiv gab.«
Nonnenmachers Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Er schwieg, wandte seinen Blick zum Fenster, überlegte und hob an: »Frau Loop, jetzt sehen Sie es doch ein: Die Familie Fichtner ist doch schon gestraft genug, oder was meinen Sie? Die haben jetzt andere Probleme. Wer soll den Hof weiterführen? Soll er überhaupt weitergeführt werden? Wer erbt? Damit haben die jetzt zu tun. Wenn wir da jetzt daherkommen und fragen: âºSagt mal, hat der Ferdl eigentlich einen Grund gâhabt zum Sichumbringenâ¹, ja was meinen Sie, was da los ist? Und wenn der Bürgermeister erfährt, dass wir auch in Richtung Mord ermitteln? Uns steht hier eine herrliche Sommersaison bevor, Seefeste, Waldfeste, da reist die halbe Münchner Society an. Sogar der Uli Hoeneà hat sich jetzt in unserm schönen Wiessee ein Haus gekauft. Der Willy Bogner ist in Gmund, der Fritz Wepper in Finsterwald oder wo, der Santa Cruz war kürzlich da, der Herr Burda, der Herr Beisheim, alle fühlen sich hier wohl und sicher. Und so soll, ach was, so muss es bleiben. Wir wollen, dass die Urlauber über den Tegernsee reden, weilâs bei uns so schön ist, und nicht, weil hier vielleicht ein Bauer aus der Mühlgasse umgebracht worden sein könnte, was völlig abwegig ist. Frau Loop, ich verbiete Ihnen hiermit, dass Sie weiter in der Sache ermitteln. Und ich bin hier der Chef. Sie geben mir jetzt sofort die Akte, ich quittiere Ihnen das auch, und dann setzen wir uns zusammen und überlegen uns ein schönes Konzept, wie wir den Tegernseer Kindern das verkehrsgerechte Radeln beibringen. Punkt.«
»Aber â¦Â«
»Nichts aber, Punkt, habe ich gesagt.«
Plötzlich verspürte Anne Rückenschmerzen. Verspannungen. Sie ging zurück in ihr Arbeitszimmer und setzte sich. Sepp Kastner sah sie in einer Art und Weise an, die lieb wirken sollte, tatsächlich aber ein bisschen doof aussah, und fragte: »Hat er Sie geschimpft?«
Anne antwortete nicht.
»Soll ich uns einen Kaffee kochen?«
Anne schwieg.
Kastner überlegte, wie er sie auf andere Gedanken bringen könnte. »Ihren Namen«, sagte er, »den schreibt man ja nicht wie das Lob, das von loben kommt, gell?« Anne zeigte keine Reaktion. »Sondern englisch mit zwei o. So wie den Looping, den Ãberschlag beim Fliegen, gell? Sind Sie eine Ãberfliegerin, haha?« Kastner lachte unbeholfen und war irritiert, weil Anne immer noch nicht reagierte. Dann meinte er nachdenklich: »Warum sagt man eigentlich nicht Loop mit u? Das wäre doch viel cooler!« Er sagte es ein paarmal vor sich her: »Frau Luup, Frau Luup, hello Mrs.  Luup. Good Looping, Mrs.  Luup â¦Â«
»Weil wir hier in Deutschland sind und auÃerdem nicht cool sein
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