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Teller, Janne

Teller, Janne

Titel: Teller, Janne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nichts
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sich in seinem
Mund an Lauten bildete, aber nicht zu Worten wurde, konnte man unmöglich
kapieren. Eines allerdings verstanden wir doch: »Mama, Mama«, brüllte er.
»Mama!« Jan-Johan warf sich auf den Boden und rollte sich mit den Händen
zwischen den Beinen in den Sägespänen, und dabei hatte es doch noch gar nicht
angefangen. Es war jämmerlich. Weichei! Feigling! Janna-Johanna!
    Ja, es war
schlimmer als jämmerlich, denn Jan-Johan war der Anführer der Klasse und konnte
Gitarre spielen und Songs von den Beatles singen, aber plötzlich war aus ihm
ein plärrender Säugling geworden, und man bekam höchstens Lust, nach dem
Klumpen zu treten. Aus dem uns bekannten Jan-Johan war ein anderer Jan-Johan
geworden, und aus dem machten wir uns gar nichts. Ich fragte mich, ob Sofie
diesen anderen Jan-Johan schon an dem Abend mit der Unschuld kennengelernt hatte, obwohl er damals noch Oberwasser
hatte. Bei dem Gedanken, wie viele unterschiedliche Personen in ein und
demselben Mensch stecken konnten, bekam ich eine Gänsehaut.
    Mächtig
und jämmerlich. Fein und ordinär. Mutig und feige. Man konnte es nicht
ausloten.
    »Es ist
jetzt ein Uhr«, sagte Sofie und unterbrach damit meine Gedanken, was vielleicht
sehr gut war, denn ich war keineswegs mehr sicher, wohin die gerade unterwegs
waren. Jan-Johan stieß einen langen, jammernden Schrei aus und rollte sich im
Sägemehl herum, ohne an das von Marie-Ursula und mir so schön geharkte Muster
zu denken. »Elise, Rosa und Frederik, ihr geht nach draußen und passt auf,
damit niemand so nahe herankommt, dass er etwas hören kann«, fuhr Sofie
unbeirrt fort.
    Die Tür schloss sich hinter den dreien, und Sofie wandte sich an Ole
und den großen Hans. »Dann seid ihr jetzt dran .«
    Jan-Johan
stand auf und schlang die Arme um einen Pfosten, und Ole und der große Hans
mussten lange kämpfen, bevor sie seine Arme lösen konnten. Als sie ihn
freibekommen hatten, mussten Richard und der fromme Kai tragen helfen, so sehr
wand er sich.
    »Igitt, der pisst !« , rief Richard plötzlich.
Es stimmte. Gerda kicherte. Wir anderen sahen angeekelt auf den dunklen
Streifen, der sich in den Sägespänen abzeichnete. Sogar als Jan-Johan
schließlich neben den Holzböcken lag, war er nicht zu bändigen. Der große Hans
musste sich auf seinen Bauch setzen. Das half, aber Jan-Johan hatte noch immer
die Hände zu Fäusten geballt und weigerte sich rundweg, sie zu öffnen,
ungeachtet der ziemlich handfesten Argumente, die ihm von Ole und dem großen
Hans beigebracht wurden. »Wenn du den Finger nicht auf den Bock legst, muss ich
den Finger eben dort abschneiden, wo er liegt«, sagte Sofie ruhig. Ihre Ruhe
hatte etwas Unheimliches. Trotzdem schien sie sich auf uns andere zu
übertragen. Das, was geschehen sollte, war ein notwendiges Opfer in unserem
Kampf für die Bedeutung. Alle mussten ihren Teil beitragen. Wir hatten unseren beigetragen.
Jetzt war Jan-Johan an der Reihe. So schlimm war es doch wohl nicht.
    Als
Jan-Johan wieder einmal laut aufbrüllte, hob Hussein seinen Arm, der gerade
aus dem Gips gekommen war, und sagte: »Das ist nichts, wovor man sich fürchten
muss. Das ist nur ein Finger .«
    »Ja, davon stirbt man nicht«, sagte der große Hans auf Jan-Johans
Bauch und drückte Jan-Johans rechte Hand nach oben. »Und wenn es nicht wehtun
würde«, fügte Anna-Li still hinzu, »wäre es ja auch
nichts von Bedeutung .«
     
    Das Messer
knackte dermaßen plötzlich tief in Jan-Johans Finger, dass ich nach Luft
schnappte. Ich sah zu den grünen Sandalen hinüber und holte tief Luft. Einen
kurzen Moment lang war es ganz still. Dann schrie Jan-Johan so laut, wie ich
nie zuvor jemand schreien gehört hatte. Ich hielt mir die Ohren zu, und
trotzdem war es nicht auszuhalten. Viermal musste Sofie das Messer
hineinrammen; so sehr, wie Jan-Johan sich wand, war es schwer, sauber zu
treffen. Beim dritten und vierten Mal sah ich zu. Es war doch auch interessant
zu sehen, wie der Finger zu Fetzen und Knochensplittern wurde. Dann war alles
voller Blut, und es war bestimmt sehr gut, dass die hübsche Rosa nach draußen
geschickt worden war, denn Blut floss reichlich.
    Es dauerte eine Ewigkeit, und dann war es schlagartig vorbei.
    Sofie
richtete sich langsam auf, wischte das Messer mit einer Handvoll Sägespäne ab
und stieß es dann in den Pfosten, in dem es vorher gesteckt hatte. Die Hände
wischte sie an ihren Jeans ab.
    »Das
war's«, sagte sie und ging zurück, um nach dem Finger zu suchen.
    Dame
Werner

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