Teller, Janne
Lieder der Beatles sang, so dass es fast wie das
Original klang, und das würde er ohne den Finger nicht können, und deshalb
durfte die hübsche Rosa nicht darum bitten.
»Doch«,
sagte die hübsche Rosa, ohne zu erklären, warum.
»Nein«,
sagte Marie-Ursula, und wir anderen unterstützten sie; irgendwo muss eine
Grenze gezogen werden.
»Doch«,
sagte die hübsche Rosa.
»Nein«,
sagten wir wieder.
Und
nachdem sich das oft genug wiederholt hatte, war es, als hätte die hübsche Rosa
keine Kraft mehr, und unserem Nein wurde ein mattes Schweigen entgegengebracht,
weshalb wir glaubten, wir hätten gewonnen.
Das dauerte aber nur so lange, bis sich Sofie einmischte. »Was? Hat
Jan-Johans rechter Zeigefinger vielleicht keine Bedeutung ?«
Das
konnten wir schlecht verneinen, aber einen Finger abliefern, darum konnte man
trotzdem nicht bitten. Sofie fuhr unbeirrt fort und konnte gar nicht verstehen,
was es da zu diskutieren gebe.
»Alle anderen haben bekommen, was sie haben wollten. Und wenn die
hübsche Rosa Jan-Johans Zeigefinger will, dann soll sie Jan-Johans Zeigefinger
haben .«
Schließlich sagten wir okay, denn es würde sich ja eh niemand
überwinden und Jan-Johans Zeigefinger abschneiden. »Das mache ich«, sagte Sofie
kurz. Sprachlos starrten wir sie an.
Seit der Sache mit der Unschuld hatte Sofie etwas Kaltes. Kalt. Kälter.
Frost, Eis und Schnee.
Auf einmal
fiel mir ein, dass Jan-Johan an dem Abend im Sägewerk dabei war, und dann
wollte ich mir gar nicht vorstellen, was er mit dem Finger getan hatte. Aber
nun wusste ich, wer den Kopf des armen Aschenputtels vom Rumpf getrennt hatte.
Sofie war
eine ganz Schlaue.
Ich sprach mit niemandem über das, was ich dachte. Erstens, weil ich
nicht sicher war, ob das mit dem Finger nicht dem gleichkam, was Sofie hatte
abliefern müssen. Zweitens, weil ich mich bei dem Gedanken, auf welche Ideen
Sofie noch verfallen mochte, nicht mehr sicher fühlte.
Mehrere
von uns waren froh, dass der Berg aus Bedeutung bald fertig war.
Jan-Johan
war es gleichgültig. Was ihn betraf, konnte es der Anfang oder das Ende des
Bergs sein, er wollte seinen Zeigefinger nicht abgeben.
Wäre
Jan-Johan nicht der Letzte gewesen, hätten wir ihn vielleicht damit
durchkommen lassen. Wer konnte denn wissen, was noch kam? Aber vielleicht
stimmt das auch nicht wirklich. In Wahrheit hätten wir Jan-Johan vielleicht
durchkommen lassen, wenn er nicht der Anführer der Klasse gewesen wäre, der
alles entschied und der Gitarre spielte und Beatles-Songs spielte, wann er es
wollte. Aber so war nichts zu machen. Am Samstagnachmittag sollte es passieren.
Erst sollte Sofie den Finger abschneiden, danach würden wir schnell einen
Verband anlegen, und schließlich sollte der fromme Kai Jan-Johan im
Zeitungswagen nach Hause zu seinen Eltern fahren, so dass die ihn ins
Krankenhaus bringen konnten, damit er ordentlich verbunden werden konnte.
Und am
Sonntag würden wir Pierre Anthon holen.
17
Am Freitagnachmittag räumten wir im Sägewerk auf.
Es war der 14. Dezember. Nur noch wenige Tage, dann war Weihnachten,
aber daran dachten wir nicht. Wir hatten Wichtigeres vor.
Wir
hausten jetzt seit knapp vier Monaten in dem stillgelegten Sägewerk. Sägespäne
hatten sich mit Erde, Bonbonpapier und anderem Abfall vermischt und waren nicht
mehr gleichmäßig auf dem rissigen Zementboden verteilt, sondern bildeten Hügel
und Bergkämme zwischen den Holzstücken, die wir herumgeworfen hatten, wenn wir Die-Erde-ist-giftig spielten und etwas zum Sitzen
brauchten. Die Spinnen schienen trotz unserer Anwesenheit ihre Aktivitäten
nicht verringert zu haben. Es war eher so, als hätten sich dadurch ihre
Möglichkeiten, Beute zu machen, verbessert, denn in allen Ecken und Winkeln hingen
Spinnweben. Die Fenster - also die, die noch heil waren - wirkten, falls das
möglich war, noch schmutziger. Nach einigen Streitereien, wer was machen
sollte, legten wir endlich los.
Frederik
und der fromme Kai sammelten das Bonbonpapier ein. Sebastian, Ole und der große
Hans trugen die Holzstücke nach hinten, wo das übrige Holz lag. Und Maike,
Elise und Gerda kletterten herum und fegten die Spinnweben weg. Dame Werner,
Laura, Anna-Li und der kriecherische Henrik wischten
so viel Schmutz von den Fenstern, wie sie konnten, und Dennis schlug die Reste
der zerbrochenen Scheiben heraus, damit keine Glasscherben mehr herausstanden
und den Anblick verschandelten. Marie-Ursula und ich verteilten die Sägespäne
in
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