Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
beschlagen war und er nichts mehr sehen konnte. Allerdings bemerkte er sowieso nicht richtig, was sich draußen in der Welt abspielte. Vor seinem inneren Auge ging er zum x-ten Male das Gespräch mit Kiara durch, wie er cool und überlegt das Telefon nahm, ihr mit tiefer männlicher Stimme seine Botschaft mitteilte und sie einwilligte. Sie konnte nicht anders, wenn er nach diesem ausgeklügelten Plan vorging. Dieses Mal musste es klappen. Die Frage war nur, wann er sie anrufen sollte. Er sah zur Uhr. Zu früh war nicht gut, da kam sie gestresst von der Arbeit und war vermutlich nicht aufnahmefähig. Etwas später würde sie mit Lea Hausaufgaben machen und die Kleine vielleicht ins Bett bringen. Das wäre ebenfalls nicht günstig. Und noch später lag sie vielleicht bereits selbst im Bett. Es blieb ihm also nur ein winziges Zeitfenster, in dem er willkommen war.
Was für ein Stress! Erschöpft setzte er sich auf seinen Stuhl und schaltete den Computer an, um sich kurzzeitig mit einem Spiel abzulenken, damit er nicht durchdrehte.
***
Lea lag im Bett und tat nicht nur so, als würde sie schlafen, sondern schniefte tatsächlich ganz leise im tiefsten Schlummer, obwohl sie wegen ihres Alleingangs ein gewaltiges Donnerwetter sowohl von ihrer Mutter als auch von ihrer Großmutter über sich hatte ergehen lassen müssen. Kiaras Mutter saß in ihrem Sessel am Fenster und redigierte ein Konzept, als Kiara mit ihrem Telefon auf die Toilette der Wohnung schlich.
Sie brannte darauf zu wissen, was Holger herausgefunden hatte. Allerdings durfte sonst niemand hören, was sie mit ihm besprach.
Sie setzte sich auf den Badewannenrand und wählte seine Nummer.
Holger antwortete nach nur einem Klingeln.
„Hi, gut dass du anrufst, ich wollte mich auch gerade melden“, rief der junge Mann mit heiserer Stimme, bevor er sich räusperte und das gleiche noch einmal eine Oktave tiefer sagte.
„Hast du Informationen für mich?“, flüsterte Kiara, damit ihre Mutter nichts mitbekam. Die Wände in dem Plattenbau waren dünn.
Holger zögerte einen Moment.
„Ich würde es dir nur ungern am Telefon sagen“, erwiderte er, wobei seine Stimme wieder nach oben schnappte. Er räusperte sich erneut.
„Aber wann und wo?“, fragte sie ungeduldig. „Ich muss es bald wissen, denn der Kerl will sich unbedingt mit mir treffen. Morgen?“
„Morgen?“, fragte Holger verdutzt. „Morgen ist kein Wochenende!“
„Ich weiß. Es ist aber dringend.“
Sie konnte hören, dass Holger am anderen Ende der Leitung unsicher wurde. „Wo würdest du das Treffen denn vorschlagen?“
„Kannst du mich von der Arbeit abholen?“
„Und danach gehen wir etwas trinken?“
„Ja, das können wir gerne machen.“
„Okay“, stimmte Holger ein. „Das machen wir.“
„Gut. Bis morgen.“
Sie legte auf und kehrte zurück ins Wohnzimmer.
„Hast du gerade mit jemandem im Bad gesprochen?“, fragte ihre Mutter verwundert. „Mir war, als hätte ich deine Stimme gehört.“
„Nur Selbstgespräche“, erwiderte Kiara schnell. „Ich habe im Geist noch einmal mit Lea geschimpft.“
„Die Kleine wird langsam selbstständig“, sagte ihre Mutter mit sorgenvoller Miene, während in ihrer Stimme Stolz mitschwang. „Du warst in dem Alter ähnlich.“
„Ehrlich?“, wollte Kiara wissen. „Bin ich auch heimlich durch die halbe Stadt gefahren und habe dich einfach von der Arbeit abgeholt?“
„Nein, aber du hast Samira heimlich zu einem Schönheitswettbewerb für Kinder begleitet.“
„Stimmt, ich erinnere mich.“ Bei der Erinnerung stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen. „Sie wurde aber nur Zweite, weil sie über ihre eigenen Beine gestolpert war.“
„Ich hoffe, sie macht es jetzt besser. Weißt du, wie es ihr in Amerika ergeht?“
„Nein, sie hat sich nicht gemeldet. Und als ich sie anrief, ging sie nicht ans Telefon. Sie ist sicherlich beschäftigt.“
„Ja, sicher.“
Ihre Mutter sah wieder auf die Papiere, die sie redigieren musste.
Kiara wandte sich ab. Samira hat sicherlich jede Menge neue Eindrücke zu verarbeiten, dachte sie. Aber seltsam war es schon, dass sie sich nicht meldete. Vielleicht sollte sie selbst noch einmal versuchen, die Freundin zu erwischen. Aber jetzt musste sie ins Bett.
„Gute Nacht, Mama.“
Die Mutter sah mit einem Lächeln auf. „Gute Nacht, meine Große.“
Ein Stadtviertel entfernt vollführte Holger eine Regentanz ähnliche Aufführung in seinem Zimmer. Er lief von einem Ende des Zimmers
Weitere Kostenlose Bücher