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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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vor wie ein Mann ohne Bier. Goose – bitte.«
    Onkel Charlie blies seine Backen auf und starrte Vokuhila an. Dann griff er langsam ins Eis und holte eine Flasche Bier. »Geht aufs Haus«, sagte er und knallte die Flasche vor Vokuhila hin. »Und jetzt zieh Leine.«
    Vokuhila verschwand in der Menge, seine Haare erinnerten mich an die Fluke eines Wals beim Untertauchen.
    Onkel Charlie beugte sich nah zu mir und fragte: »Was hast du erwartet? Du bist an der besten Schule des Landes. Meinst du, sie lassen Dummköpfe nach Yale?«
    »Nur einen.«
    »Ach. Was musst du dieses Wochenende lesen?«
    »Aquin«
    »Ein mittelalterlicher Philosoph. Wo liegt das Problem?«
    Wie sollte ich alles in ein paar Worte fassen? Ich war nicht nur eingeschüchtert, es ging nicht nur um schlechte Noten. Ich las und las, arbeitete so hart wie ich konnte, aber ohne Bill und Bud als Übersetzer war ich verloren. Henry IV Teil eins? Ich hatte keine Ahnung, wovon zum Teufel da geredet wurde. Was die Sache aber richtig frustrierend machte, war, dass in dem Stück alle in einer Kneipe herumstanden. Wie war es möglich, dass sich mir sogar der Sinn einer Stammtischrunde verschloss? Dann war da Thukydides. Mein Gott. Am liebsten wäre ich in das Buch gekrochen und hätte den alten Sack am Kragen gepackt. Ich hätte ihn liebend gern angeschrien: Jetzt gib mir endlich das Fazit, Mann! Ich hatte einen Satz aus seiner Geschichte des Peleponnesischen Kriegs auswendig gelernt, einen Satz, der sich länger hinzog als der Krieg selbst. »Denn der wahre Urheber der Unterwerfung eines Volkes ist nicht so sehr der unmittelbar Handelnde als die Macht, die ihm die Mittel an die Hand gibt, sie zu verhindern.« So oft ich den Satz auch las, er ergab keinen Sinn, und ich lief ständig durch die Gegend und kaute darauf herum, murmelte ihn vor mich hin wie Joey D. Und jetzt kam Aquin! Er veränderte die Welt mit seinem logischen Beweis der Existenz Gottes, doch egal, wie genau ich seiner graduellen Argumentation folgte, ich entdeckte keinen Beweis. Worin lag der Beweis? Ich glaubte an Gott, konnte aber keinen Beweis für ihn erkennen und sah auch keinen Grund, einen Beweis erbringen zu müssen. Genau darin lag doch das Geheimnis des Glaubens.
    Das Schlimmste und Ärgerlichste von allem aber war, dass ich immer doppelt so viel lernen musste wie meine Kommilitonen, weil ich mich für den verdammten Intensivkurs eingeschrieben hatte.
    Vermutlich war ich eine ganze Weile in diese Gedanken versunken, denn Onkel Charlie schnippte mit den Fingern vor meinem Gesicht. Ich blinzelte und erinnerte mich, dass er mir eine Frage gestellt hatte. Wo liegt das Problem? Ich hätte es ihm gern gesagt, konnte aber nicht, und zwar nicht, weil ich mich schämte, sondern weil ich betrunken war. Rechtschaffen und rettungslos betrunken, aber dennoch vollkommen bewusst, welch ein Luxus es war, jung und betrunken zu sein. Obwohl dies einer der betrunkensten Augenblicke meines Lebens war, würde ich mich immer lebhaft daran erinnern, an dieses vollkommene Fehlen von Angst und Sorge. Ich redete zwar über meine Probleme, hatte aber gar keine. Bis auf eins. Ich konnte keine Wörter formulieren. Onkel Charlie starrte mich immer noch an – Wo liegt das Problem? – also nuschelte ich irgendwas über Aquin. Onkel Charlie grunzte, ich grunzte, und jeder von uns tat so oder glaubte sogar ernsthaft, wir hätten ein echtes Wort von Mann zu Mann geredet. »Sperrstunde«, sagte er.
    Ich nahm mein Geld, holte meinen Koffer und steuerte zur Tür. Meine Taschen waren voller Notizen über Cager und andere, außerdem besaß ich siebenundneunzig Dollar mehr als bei meiner Ankunft, und die Männer in der Bar, auch Steve, hatten mich zum Mann erklärt. Ein unvergesslicher Geburtstag. Irgendwer schattenboxte mich zur Tür. Vielleicht war es Cager, vielleicht auch sein Schatten. Als ich in die rosige Morgendämmerung hinaustrat, sagten alle: »Komm bald wieder, Kleiner.« Meine Antwort hörten sie nicht oder konnten sie zumindest nicht verstehen.
    »Machich«, sagte ich. »Gansbeschtimmt.«
     
     
     
23 | TROUBLE
     
    Das zweite Studienjahr wird leichter, versprach meine Mutter. Bleib dran, sagte sie. Gib dir Mühe. Versuch es immer wieder. Hätte ich erst mal den Intensivkurs und Professor Luzifer hinter mir, prophezeite sie, könnte ich meine Noten bestimmt verbessern.
    Ich hatte nicht den Mut, meiner Mutter zu sagen, dass es sinnlos war, mich zu bemühen, weil mein Geist gebrochen war. Mich zu bemühen

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