Tender Bar
unterstrich und verschlimmerte das Problem nur, so als würde man aufs Gaspedal treten, wenn der Motor abgesoffen ist. Ich konnte meiner Mutter nicht sagen, dass ich Yale vermutlich nicht schaffen, dass ich diese goldene Gelegenheit, für die sie ihren dünn gewordenen rechten Arm gegeben hatte, bald in den Sand setzen würde.
Seminarräume waren offenbar nicht mein Revier. Die Bar hingegen schon. Nach meinem achtzehnten Geburtstag wusste ich, dass ich nur in Bars genauso schlau war wie meine Kommilitonen, und sie dachten genauso. Wenn wir trinken gingen, merkte ich, wie ich in ihrer Achtung stieg. Man hatte mich zwar in Yale angenommen, aber akzeptiert zu werden, war etwas Flüchtigeres, das offenbar nur zustande kam, wenn meine neuen Freunde und ich Cocktails tranken.
Im Gegensatz zum Publicans jedoch mussten die Getränke in New Haven bezahlt werden. Ich brauchte eine Einkommensquelle, und zwar unverzüglich, sonst würde ich meine neuen Freunde so schnell verlieren wie ich sie gefunden hatte, eine Vorstellung, die ich schlimmer fand als die Aussicht, im Studium zu versagen. Ich dachte daran, einen Job in einem der Speisesäle anzunehmen, doch die Bezahlung war nicht gut, und außerdem wollte ich nicht das tragen, was ein Freund den Papierhut der Armut nannte. Ich bewarb mich für die Bibliotheken, doch diese Jobs waren die begehrtesten und folglich am schnellsten vergeben. Dann hatte ich einen Geistesblitz. Ich wollte meinen eigenen Wäscheservice gründen. (Ich erinnerte mich noch, wie Oma mir den Gebrauch eines Dampfbügeleisens beigebracht hatte.) Ich würde bekannt geben, dass ein neues Unternehmen am Campus eröffnet, mit Service am gleichen Tag und nur fünfzig Cents pro Hemd. Als Geschäftsslogan dachte ich an ›Moehringer geht jedem Hemd an den Kragen‹, aber klugerweise riet mir ein Freund davon ab.
Der Zulauf war überwältigend. Die Jungs brachten säckeweise Hemden, und schon bald bügelte ich mehrere Stunden am Tag, ein Haufen Arbeit für sehr wenig Geld, doch die Alternative war, meine Freunde zu verlieren und zu Hause zu bleiben, während sie durch Nachtclubs und Bars zogen, und das konnte ich nicht zulassen.
Mein bester Kunde war Bayard, ein Kommilitone im zweiten Studienjahr, dessen Überlegenheit sich für mich allein schon in seinem melodisch klingenden, elitären Namen zeigte. Bisher kannte ich nur einen anderen Bayard – Bayard Swope, dessen Anwesen als Vorbild für die Buchanan-Villa im Großen Gatsby gedient hatte. Der Yale-Bayard – groß, blond, und nicht aus der Ruhe zu bringen – spielte Polo, besaß einen eigenen Smoking und konnte auf einen Stammbaum bis zu den Hugenotten zurückblicken. Vor Yale hatte er eine Privatschule besucht, und er kleidete sich, als wäre er den Zeichenbrettern bei Ralph Lauren entsprungen. Seine Hemdenkollektion war unglaublich – Paisley, merzerisierte Baumwolle, Bonbonstreifen, Button-down, breiter Kragen, Seide – und er besaß anscheinend genau zwei in jedem Stil, so als plane er eine Reise auf einer Arche Noah für Bekleidung. Außerdem besaß er mehrere maßgefertigte Hemden mit farblich abgesetztem Kragen und hauchdünnen Doppelmanschetten, jedes ein wahres Kunstwerk. Als er sie mir vorbeibrachte, breitete er sie auf meinem Bett aus, und wir standen in einvernehmlicher Bewunderung davor. »Das macht mich furchtbar traurig«, sagte ich, »ich habe noch nie zuvor so … so wunderschöne Hemden gesehen.« Ich nahm an, er werde das Zitat aus Gatsby erkennen. Fehlanzeige.
Ich versprach Bayard, seine Hemden in zwei Tagen gewaschen und gebügelt zu haben, aber die Zeit lief mir davon. Ich musste Arbeiten schreiben, Bars besuchen, und gegen Ende der Woche war Bayard verärgert. Er hatte nichts anzuziehen. Er hinterließ vier zunehmend wütende Nachrichten bei meinen Zimmergenossen, und ich wagte nicht, ihn zurückzurufen. Ich nahm mir vor, im Morgengrauen aufzustehen und seinen Auftrag zu erfüllen. Mittlerweile war es Freitagabend. Meine Freunde trafen sich in einer Bar in der Nähe des Campus. Ich legte Sinatra auf und stand vor meinem Kleiderschrank. Alle meine Jeans und Buds Lacoste-Hemden hatte ich schon tausendmal getragen. Hätte ich doch bloß mal was Neues anzuziehen. Mein Blick fiel auf Bayards Wäschesack. Am nächsten Morgen wollte ich ohnehin seine Hemden machen – wem konnte es schaden? Ich bügelte ein hellrosa Button-down-Hemd und zog es an.
Es war Herbst. In Yale war es immer Hebst, als wäre Yale die Geburtsstätte des Herbstes,
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