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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Leute in der Bar, dicht wie die Backsteine in einer Mauer. Smelly kam aus der Küche, und Onkel Charlie stellte mich vor. Ein eindrucksvoller Bursche, trotz seiner gedrungenen Statur, mit leuchtend rotem Haar und einem rötlichen, an den Enden gezwirbelten Schnurrbart. Irgendwie erinnerte er an einen Gewichtheber in einem altehrwürdigen Zirkus. Onkel Charlie sagte, in der Küche sei Smelly ein »artiste«, dem mit Steaks das gelinge, was Picasso in Stein haue. Ein Mann namens Fast Eddy tauchte auf, und ich erzählte ihm, dass mir sein Name schon seit Jahren geläufig war. Er war ein landesweit bekannter Fallschirmspringer, und als ich noch ein kleiner Junge war, hatte er nach einer an Onkel Charlie verlorenen Wette öffentlich geschworen, einen Sprung in Opas Garten zu landen. In Manhasset war wochenlang von nichts anderem die Rede, und ich behielt den Garten im Auge und wartete darauf, dass Fast Eddy über den Baumwipfeln erschien. Mir fiel jetzt auf, dass er auf seinem Barhocker saß, als wäre er aus 900 Metern Höhe darauf gelandet. Er schien sich geschmeichelt zu fühlen, dass ich so viel über ihn wusste, und fragte Onkel Charlie, ob er mir einen ausgeben dürfe.
    »JR«, sagte Onkel Charlie, »du wirst von Fast Eddy gedeckt.«
    Fast Eddy saß neben Cager, seinem offenbar besten Freund und zugleich auch Erzrivalen. Ich bekam mit, dass die beiden seit Jahrzehnten versuchten, einander im Bowling, Bridge, Billard, Tennis, Golf und vor allem im Liars’ Poker zu schlagen, eine Art Quartettspiel für Erwachsene, wie sie mir erklärten, das mit den Seriennummern auf Dollarscheinen gespielt wurde. Angeblich war Cager bei ihrem Zwei-Mann-Turnier im Vorteil, weil ihn nichts aus der Fassung brachte. Nerven aus Stahl, sagte Fast Eddy mit einer gewissen Zuneigung. Cager verlor nie die Nerven, wenn er zum letzten Stoß auf die Neuner-Kugel anlegte, sagte Fast Eddy zu mir, denn wenn man erst mal das Fadenkreuz einer M60 auf den Gegner angelegt hatte, war alles andere einfach.
    »Cager?«, sagte ich. »War im Krieg?«
    »’Nam«, erwiderte Fast Eddy.
    Für einen Mann, der im Krieg gewesen war, wirkte Cager zu nett und liebenswert. Bei der ersten Gesprächspause rückte ich näher zu ihm. »Darf ich fragen, wie lange du in der Armee warst?«, fragte ich.
    »Ein Jahr, sieben Monate, fünf Tage.«
    »Und wie lange warst du in Vietnam?«
    »Elf Monate, zwölf Tage.«
    Er trank sein Bier und blickte starr auf Crazy Janes Buntglasgenitalien hinter der Bar. Er schien durch das Glas hindurchzusehen, als wäre es ein Fenster nach Südostasien. Am schlimmsten, sagte er, sei die ständige Nässe gewesen, das ewige Waten durch die Sümpfe. »Wir waren nie trocken. Und dann überall dieses Elefantengras, hohe Triebe, die wie Rasiermesser die Haut aufschlitzen. Man war also ständig nass und die Haut mit Schnittwunden übersät.«
    Bei Cagers Erzählung über Vietnam verstummten die übrigen Stimmen am Tresen. Ich kam mir vor, als wären alle nach Hause gegangen und die Lichter ausgeschaltet worden, nur das unmittelbar über Cager nicht. Seine Zeit in ’Nam hatte mit wochenlangem Warten begonnen. Sechs Monate im Inland, meist im Mekong-Delta, und noch immer war nichts passiert, also ließ er sich’s gut gehen. Vielleicht wird es ja doch nicht so schlimm, dachte er. Dann, in der Umgebung von Cu Chi, marschierte seine Einheit auf ein offenes Feld und es war, als würde die Welt explodieren. Ein Hinterhalt, dachten sie. Doch in Wirklichkeit war das Feld mit Sprengfallen versehen. Cager wurde an Hals und Fingern getroffen. Nur Kratzer, fügte er schnell hinzu, peinlich berührt, es zu erwähnen, weil neun der fünfzehn Männer seiner Truppe umkamen. »Nicht mal die Helikopter kamen, um uns zu helfen«, sagte er. »Zu riskant.«
    Als der Qualm sich gelegt hatte und die Helikopter letztlich doch auftauchten, half Cager beim Einladen der Verwundeten. Ein Soldat bat ihn, zurückzugehen und seine Füße zu suchen. Bitte, sagte er die ganze Zeit – meine Füße, meine Füße. Lager watete durch das Elefantengras und holte die Füße des Soldaten, die noch immer in ihren bluttriefenden Stiefeln steckten. Er gab sie dem Soldaten, kurz bevor der Helikopter abhob.
    »Nixon hat mich rausgeboxt«, sagte Cager. »Dein Onkel Chas hasst Nixon wegen diesem Watergate-Quatsch, aber mir hat Nixon versprochen, mich bis Weihnachten nach Hause zu holen, und er hat sein Wort gehalten.«
    Versprechen zählten viel bei Lager, das merkte ich. Ich nahm mir vor, ihm

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