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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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gegenüber immerzu meinem Wort zu stehen.
    Wenige Stunden vor dem Rücktransport, sagte Cager, lief er in eine Stolperdrahtfalle. Er hörte das Klicken, spürte, wie der Draht sich um sein Schienbein festzog und schloss die Augen, um sich auf das Antlitz Gottes vorzubereiten. Aber die Mine war nicht richtig gelegt worden. Dem verräterischen Klicken folgte nichts. Entsetzen, dann Erleichterung.
    »Als ich jedenfalls endlich nach Hause kam«, sagte er, »wollte ich zwei Dinge. Nur zwei Dinge. Ein Thunfisch-Sandwich und ein kaltes Bier an der Plandome Road. Ich konnte es schon schmecken. Aber natürlich, typisch – die Taxis streikten. Da lasse ich die Hölle hinter mir, steige aus dem Flugzeug und komme nicht vom verdammten La Guardia weg.«
    Wir mussten beide lachen.
    Falls Cager noch bittere Gefühle wegen seiner Kriegserlebnisse hegte, zeigte er sie nicht, obwohl er zugab, dass ihn ein ständig wiederkehrender Alptraum verfolgte. Er sitzt im Publicans und trinkt ein kaltes Budweiser, als er aufblickt und ein paar Offiziere eintreten sieht. Es wird Zeit, sich zum Dienst zu melden, Soldat. Ihr habt den falschen Mann, sagt er ihnen – ich habe meine Zeit gedient. Ein Jahr, sieben Monate, fünf Tage. Sie glauben ihm nicht. Auf die Füße, Sandhase. Es wird Zeit, die M60 durch den Mekong zu schleppen. Zeit, aus der Bar zu verschwinden.
    »Hast du nie daran gedacht, nach Kanada zu gehen?«, fragte ich.
    Er runzelte die Stirn. Sein Vater war Berufssoldat, ein Veteran des Zweiten Weltkriegs, und Cager verehrte seinen alten Herrn. Als Cager klein war, gingen sie gemeinsam zu Footballspielen der Army gegen die Navy, und sein Vater nahm ihn mit in den Umkleideraum der Army. Er stellte ihm Eisenhower und MacArthur vor. »So was vergisst man nicht«, sagte Cager. Als sein Vater zu Beginn des Vietnamkrieges starb, sah er als ergebener Sohn keine andere Möglichkeit, als in den Krieg zu ziehen.
    Ich fragte Onkel Charlie, ob ich Cager ein Bier ausgeben dürfe.
    »Cager«, sagte er, »du wirst vom Geburtstagskind gedeckt.«
    Onkel Charlie klopfte auf die Theke und zeigte auf meine Brust, eine Geste offizieller Anerkennung, die er mir zum ersten Mal zuteil werden ließ; ich kam mir vor, als hätte er mir Excalibur auf jede Schulter gelegt. Er nahm drei Dollar von meinem Stapel und zwinkerte mir zu. Mir wurde klar, dass meine Getränke frei waren, die von mir für andere ausgegebenen jedoch nicht. Ich war froh, denn ich wollte Lager einladen. Die gleiche Regel galt offenbar auch, wenn mir jemand einen Drink spendierte. Onkel Charlie berechnete dem Mann einen Dollar als symbolisches Zeichen. Geld war nicht der springende Punkt. Es ging um die Geste, die zeitlose Geste. Einem anderen Mann einen Drink auszugeben. In der ganzen Bar herrschte ein kompliziertes System von Gesten und Ritualen. Und Gewohnheiten. Lager erklärte sie mir alle. Er erzählte mir beispielsweise, dass Onkel Charlie immer an der Westseite der Theke arbeitete, unter dem Buntglaspenis, weil er keine Lust auf die Bedienungen hatte, die ihre Getränkebestellungen am Ostende aufgaben. Joey D dagegen mochte die Bedienungen und arbeitete deshalb immer an der Ostseite, unter der Buntglasvagina. Interessanterweise, sagte Cager, reflektierte die Unterhaltung auf jeder Thekenseite den Buntglashintergrund: derber und aggressiver bei Onkel Charlie, sanfter und weniger linear bei Joey D. Mir fiel auch auf, dass jeder seine oder ihre eigene Art zu bestellen hatte. Joey D, kannst du darauf aufbauen? Goose, könntest du mir meinen Martini nochmal auffrischen, bevor ich zu meiner jämmerlichen Attrappe von Mann heimgehe? Ein Gast zeigte nur mit einem Augenblinken auf sein leeres Glas, dass er nachgeschenkt haben wollte, so als prüfte er den Tachometer bei einer Autofahrt. Ein anderer streckte seine Hand aus und berührte mit seinem Zeigefinger den von Onkel Charlie, eine Nachahmung von Michelangelos Erschaffung Adams. Bestimmt gab es nicht allzu viele Bars auf der Welt, dachte ich, in denen jemand eine Szene von der Decke der Sixtinischen Kapelle nachspielte, wenn er ein Amstel Light wollte.
    Ich schnorrte mir eine von Lagers Merit Ultras und wollte nie wieder von seiner Seite weichen. Ob er wohl jeden Abend ins Publicans kam? Ich wünschte, er hätte damals, als ich noch klein war, zur Gilgo-BeachTruppe gehört, konnte mir allerdings nicht vorstellen, dass jemand wie Cager auf dem Sand faulenzte oder wellenritt. Überhaupt konnte ich mir einen Mann wie Cager nur spätabends in

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