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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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bemüht oder nicht bemüht hätte.
    Wenn ich den letzten Brief meiner Mutter ein Dutzend Mal gelesen hatte und Sidney mir noch immer nicht aus dem Kopf ging, drehte ich die andere tröstliche Stimme auf – Sinatra. Er lieferte die musikalische Begleitung zu meinem Liebeskummer und – noch wichtiger – die intellektuelle Rechtfertigung. Ich lernte Daten für eine Geschichtsarbeit oder Theorien für eine Philosophieprüfung auswendig, aber auch Sinatra, dessen Texte meine neuen Mantras wurden. Statt mir einzureden: Ich mache mir keine Sorgen über etwas, das nicht passiert, sang ich: Guess I´ll hang my tears out to dry. Und es half. Wenn ich mir seine Texte eingeprägt hatte, erläuterte ich sie, suchte die Bedeutung zwischen den Zeilen, wie Professor Luzifer einst gehofft hatte, dass ich es bei Keats tun würde. Die besten Texte tippte ich auf Karteikarten und pinnte sie über meinen Schreibtisch. Sie lasen sich wie ein langer misogyner Monolog, wie man ihn jeden Abend im Publicans hören konnte, aber wenn Sinatra ihn sang, mit Draufgängertum und Pathos und ohne den Long-Island-Akzent, klang es kultivierter und haltbarer. Von Sinatra erfuhr ich, dass Frauen gefährlich, ja sogar tödlich waren. Sidney war nur eine schöne Frau, sagte er, und von einer schönen Frau betrogen zu werden, war für einen jungen Mann eine Feuertaufe. Er war durch dasselbe Feuer gegangen. Du wirst es überleben, versprach er. Der Schmerz lässt dir Haare auf der Brust wachsen. Meine Liebe zu Sinatra war schon tief, doch in jenem Frühjahr entwickelte ich eine körperliche Abhängigkeit von seiner Stimme.
    Gegen Ende des Semesters meldete sich auch die Stimme meines Vaters wieder. Aus heiterem Himmel rief er mich an, schlug wieder ein Treffen vor und versprach, dieses würde besser und bedeutsamer, weil er das Trinken aufgegeben hatte. Er wandle auf dem Pfad der Tugend, sagte er, und wenn ich jemals mit jemandem reden müsse, solle ich ihn per R-Gespräch anrufen. Ich erzählte ihm von Sidney und meinem Kampf, mich in Yale über Wasser zu halten. Er empfahl mir zu überlegen, das Studium abzubrechen. Nicht jeder eignet sich fürs College, sagte mein Vater.
    Am Semesterende im Mai fuhr ich nach Manhasset, um dort den Sommer zu verbringen. Meiner Mutter sagte ich, in New York hätte ich bessere Chancen, einen Ferienjob zu finden als in Arizona. Aber in Wahrheit wollte ich natürlich die verlorene Zeit im Publicans nachholen. An meinem ersten Abend in der Bar feierte ich gleich zwei Meilensteine – mein akademisches Überleben und Sidneys Examen. Letzteres war für mich der größere Grund zur Freude, denn von jetzt an hatte ich Yale für mich allein. Von jetzt an, sagte ich zu Onkel Charlie, müsste ich nie wieder Gerüchte über Sidney hören oder sehen, wie sie in die Apfel anderer Studenten biss.
    Zu Beginn meines letzten Jahres war ich wieder ich selbst. Ich besuchte meine Vorlesungen, schrieb für die News, hatte fast alle Scheine zusammen, die ich für den Abschluss brauchte. Ich saß an meinem Schreibtisch, tippte einen Aufsatz, hörte Sinatra – es ging mir gut. Mit einem Mal, aus heiterem Himmel, war ich von Glücksgefühlen überwältigt. Ich hörte neue Bedeutungen aus Sinatras Texten heraus. Wenn Sidney wie alle Frauen ist, dachte ich, sollte ich ihr vielleicht verzeihen. Wenn schöne Frauen lügen und betrügen, ist das wohl der Preis für die Liebe zu einer schönen Frau. Ich fragte mich, wo Sidney im Augenblick war. Ob sie mit dem Doktoranden Schluss gemacht hatte? Dachte sie noch an mich? Wollte sie vielleicht manchmal meine Stimme hören?
    Nach dem zweiten Läuten ging sie ran. Sie weinte, ich fehlte ihr angeblich, und wir verabredeten uns für den nächsten Abend zum Essen.
    Wir saßen an einem Tisch in einer dunklen Ecke des Restaurants, und der Kellner spürte, dass wir allein sein wollten. Sidney erklärte mir vorsichtig und ausführlich, warum sie getan hatte, was sie getan hatte. In Yale sei sie unglücklich gewesen, sagte sie. Weil sie deprimiert und heimwehkrank war, hatte sie ein Verhalten an den Tag gelegt, das sie jetzt nicht mehr nachvollziehen konnte, und die Hauptschuld daran schob sie auf ihre erste Liebe. Sie war sechzehn gewesen, und er ein viel älterer Mann, der sie missbraucht und betrogen hatte. Nach diesem Erlebnis war sie desillusioniert und zynisch, ihre Vorstellungen von Treue verkorkst.
    Inzwischen sei sie älter und klüger, versprach sie, und streifte meinen Arm. Genau wie du, fügte sie

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