Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
Vom Netzwerk:
will nur Zeitungsreporter werden.«
    »Nun ja.« Er ließ enttäuscht die Schultern hängen. »Auch nicht schlecht.«
    »Ich schreibe lieber Geschichten von anderen Leuten auf.«
    »Warum nicht die eigene?«
    »Ich wüsste nicht, wo ich anfangen soll.«
    »Tja, da ist was dran. Und ich muss dir Recht geben, Zeitungen haben etwas Magisches an sich. Ich genieße es sehr, jeden Morgen die Times in die Hand zu nehmen und das pralle Leben vor mir zu sehen.«
    »Sagen Sie das mal meiner Mutter.«
    »Sie wird sich freuen, wenn du deinem Herzen folgst. Und dein Examen machst.«
    Bei dem Wort bekam ich ein flaues Gefühl im Magen. Ich schluckte meinen Scotch in einem Zug halb hinunter.
    »Sorge dafür, dass du glücklich bist«, sagte der Priester. »Dann ist auch deine Mutter glücklich.«
    »Ich wette, Sie sind nicht der einzige Sohn einer alleinerziehenden Mutter.«
    »Der fünfte Sohn in einer zehnköpfigen Familie. Aber meine Mutter hatte sich darauf versteift, dass ich Priester werde – dein Dilemma ist mir also nicht ganz fremd.«
    »Manhasset würde Ihnen gefallen. Lauter katholische Großfamilien.«
    »Klingt paradiesisch.«
    »Es gibt eine Hauptstraße mit vielen Kneipen. Am einen Ende ist die beliebteste Kirche, St. Mary’s, am anderen die heiligste Bar.«
    »Eine Kosmologie, die Dante gerecht werden könnte. Wollen wir?« Er rasselte erneut mit den Eiswürfeln in seinem Becher. Ich zog meine Brieftasche hervor. Er winkte ab. »Du bist eingeladen«, sagte er und ging zur Bar.
    Langsam spürte ich, wie mir der Scotch in die Glieder fuhr. Meine Zehen waren voller Scotch. Meine Fingernägel, Haare, Wimpern – Scotch. Ich fragte mich, ob Pater Amtrak etwas in meinen Drink mischte, verwarf den Gedanken aber wieder. »Wissen Sie«, sagte ich, als er mit der nächsten Runde zurückkehrte, »für einen Priester reden Sie ziemlich vernünftig.«
    Er klatschte sich auf den Schenkel und wieherte vor Lachen. »Das muss ich mir merken!«, sagte er. »Wirklich, das muss ich den anderen Priestern auf der Konferenz erzählen.«
    Er verschränkte die Finger im Nacken und sah mich an. »Ich glaube, heute Abend haben wir ein paar wichtige Entscheidungen getroffen, JD.«
    »JR.«
    »Als Erstes verbesserst du deine Noten.«
    »Wahrscheinlich.«
    »›Das unermüdliche Streben nach einer unerreichbaren Vollkommenheit, selbst wenn es in nichts anderem besteht, als dass einer auf ein altes Klavier einhämmert, ist das Einzige, was unserem Leben Sinn verleiht auf diesem nutzlosen Planeten.‹ Logan Pearsall Smith.«
    »Wer?«
    »Ein sehr weiser Mann. Buchliebhaber. Äonen vor dir geboren.«
    »Sie wissen viel über Bücher, Pater.«
    »Als Junge war ich oft allein.«
    »Ich dachte, Sie kommen aus einer großen Familie.«
    »Alleinsein hat nichts damit zu tun, wie viele Menschen um dich herum sind. Aber ich wollte noch etwas vorbringen. Ach ja. Zweitens wirst du ein Schreiber. Es wird mir ein Vergnügen sein, deine Geschichten in der Zeitung zu suchen. Du wirst über richtige Menschen und ihre Handlungen auf diesem nutzlosen Stern schreiben.«
    »Ich weiß nicht. Manchmal will ich etwas ausdrücken, das mir durch den Kopf geht, aber dann kommt es heraus und klingt, als hätte ich ein Wörterbuch gefressen und scheiße die Seiten damit voll. Entschuldigung.«
    »Soll ich dir was sagen?«, fragte der Priester. »Weißt du, warum Gott Schreiber erfunden hat? Weil Ihm nichts über eine gute Geschichte geht.
    Wörter dagegen sind Ihm schnurzegal. Wörter sind die Vorhänge, die wir zwischen Ihn und unser wahres Selbst gehängt haben. Denk bloß nicht über Wörter nach. Versuch nicht, den perfekten Satz zu finden. Den gibt es nicht. Schreiben ist Vermutung. Jeder Satz ist eine begründete Vermutung, von deiner Seite wie von der des Lesers. Daran solltest du denken, wenn du nächstes Mal ein Blatt Papier in deine Schreibmaschine spannst.«
    Ich holte mein Notizbuch aus dem Rucksack. »Was dagegen, wenn ich mir das aufschreibe, Pater? Ich möchte mir angewöhnen, Dinge aufzuschreiben, die kluge Menschen zu mir sagen.«
    Er zeigte auf mein Yale-Notizbuch, das drei viertel voll war.
    »Offenbar sind dir schon viele schlaue Menschen über den Weg gelaufen.«
    »Das sind größtenteils Sachen, die ich im Publicans aufgeschnappt habe. So heißt die Bar, in der mein Onkel arbeitet.«
    »Es stimmt, was du über Barmänner und Priester sagst.« Er sah aus dem Fenster. »Zwei identische Berufungen. Beide hören wir Beichten, beide servieren wir Wein. In

Weitere Kostenlose Bücher