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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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einer langen Reihe schmutziger Flaschen, aber die Männer schritten durch den Eingang als handle es sich um das Waldorf. Sie hatten einen tiefen, dauerhaften Respekt vor Bars, allen Bars, und vor den dort herrschenden Anstandsformen. Als Erstes kauften sie eine Runde fürs Haus – drei alte Fischer und eine ledergesichtige Frau mit Gaumenspalte. Dann kauften sie eine Runde für sich. Nach dem ersten Schluck kalten Biers und Bloody Marys verhielten sich die Männer anders. Ihre Glieder wurden lockerer, ihr Lachen lebhafter. Der Schuppen bebte unter ihrem schallenden Gelächter und ich konnte es förmlich sehen – ihr Kater lichtete sich wie der Morgennebel über dem Meer. Ich lachte mit, obwohl ich nicht wusste, wo der Witz lag. Egal. Die Männer wussten es auch nicht. Das Leben war der Witz. »Es wird Zeit!«, sagte Bobo und rülpste vulkanisch. »Meine Kehle ist angefeuchtet. Jetzt kommt die Hose dran. Auf zum Meer.«
    Ich stapfte mehrere Schritte hinter den Männern durch den Sand und sah, wie sie in einer vorherbestimmten Formation fächerförmig ausschwärmten. Onkel Charlie, der Kleinste, übernahm die Spitze, ein Flamingo vor zwei Bären, einem Muppet und einem keuchenden Panther. Für mich waren die Männer unwillkürlich exotische Tiere, wenn ich sie nicht gerade als Prototypen gefährlicher Männer sah. Wenn sie ihre Liegestühle unterm Arm trugen, sah ich Gangster mit Geigenkästen. Wenn das Licht um ihre Köpfe blinkte, weil die Sonne auf dem Wasser glitzerte, sah ich einen Zug Soldaten, der in Salven von Artilleriefeuer marschierte. An jenem Vormittag war ich mir sicher, dass ich den Männern überallhin folgen würde. In die Schlacht. In den Schlund der Hölle.
    Aber nicht ins Meer. Ich wartete am Rand des kalten grünen Wassers, während die Männer schnurstracks in die Brandung wateten. Sie blieben kaum stehen, um ihre Klappstühle abzustellen und ihre Sachen auszuziehen. Als sie erst einmal im Wasser waren, liefen sie immer weiter, hielten Bier und Becher in die Luft wie Freiheitsstatuen, bis sie bis zum Bauch, zur Brust, zum Hals verschwanden. Bobo ging am weitesten. Er hielt auf eine vom Ufer weit entfernte Sandbank zu, Wilbur paddelte wild neben ihm her.
    Ich war kein guter Schwimmer und hatte immer noch Omas furchteinflößende Geschichten von Ripptiden in Erinnerung, die ganze Familien wegspülten, aber die Männer ließen natürlich nicht zu, dass ich am Strand blieb. Sie zitierten mich zu sich ins Wasser, und als ich bei ihnen war, warfen sie mich in die Wellen. Mir fiel die Geschichte meiner Mutter ein, von dem Tag, als Opa sie mit ins tiefe Wasser genommen und dann allein gelassen hatte. Ich verkrampfte. Joey D befahl mir, mich zu »entkrampfen«. Locker, Kleiner, einfach locker bleiben. Lockerkleinereinfachlockerbleiben. Während Joey D an Land den Eindruck vermittelte, als stünde er am Rande eines Nervenzusammenbruchs, war er im Wasser die Entspanntheit in Person. Wie aufs Stichwort konnte er jegliche Spannung aus seinen Muskeln nehmen und wie eine Qualle dahindümpeln – eine hundertzwanzig Kilo schwere irische Qualle. Ich beobachtete sein schwebendes Gesicht, eine Maske purer Gelassenheit, wie ich sie noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Dann wurde sein Gesicht noch ruhiger und ich ahnte, dass er vermutlich pinkelte.
    Sobald Joey D eine vielversprechende Welle entdeckte, drehte er seinen gewaltigen Körper in ihre Richtung, ließ sich von ihr hochheben und ans Ufer tragen. Das nenne man Bodysurfen, erklärte er. Nachdem er mit Engelszungen auf mich eingeredet hatte, ließ ich mir von ihm zeigen, wie es ging. Ich versuchte mich zu entspannen, wurde zum ersten Mal in meinem Leben locker – wenigstens kam es mir so vor – und ließ mich auf dem Rücken treiben. Obwohl meine Ohren unter Wasser waren, hörte ich Joey D sagen: »Bravo, Kleiner, bravo!« Dann schob er mich in die Bahn einer Welle. Ich spürte, wie mein Körper plötzlich weit hoch gehoben wurde, einen Augenblick schwankte und dann vornüber geschleudert wurde. Wie ein menschlicher Bumerang wirbelte ich durch die Luft, ein erregendes unkontrollierbares Gefühl, das ich für immer mit Joey D und den Männern verband. Ich landete auf dem Sand, rappelte mich auf, bedeckt mit Seetang und Kratzern, und als ich mich umdrehte, pfiffen und applaudierten die Männer, am lautesten Joey D.
    Auf dem Weg zurück zu den Stühlen hing uns allen die Zunge aus dem Hals wie Wilbur. Keiner der Männer benutzte ein Handtuch, und ich kam

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