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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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anders auftrat. Er lachte nicht, war alles andere als albern. Er hatte Schmerzen und schirmte seine Augen ab wie ein Gefangener, den man aus der Einzelhaft entlässt. Vor Onkel Charlies Fenster beugte er sich herab und sagte krächzend: »Hey, Chas, was meinst du?« Seine Stimme war so schwach wie meine am Morgen nach der Mandeloperation, aber das war längst nicht das Bemerkenswerteste an seiner Stimme. Er klang genau wie Yogi Bär.
    »Morgen«, sagte Onkel Charlie.
    Der Mann nickte, als genüge ihm das an Konversation. Er ging um das Auto herum und stieg auf der Beifahrerseite ein. »Himmel noch mal«, sagte er und ließ den Kopf hinten auf den Sitz sinken. »Was zum Teufel hab ich gestern Abend bloß getrunken?«
    »Das Übliche«, sagte Onkel Charlie.
    Onkel Charlie spähte in den Rückspiegel und erschrak wieder, als er mich sah. »Oh«, sagte er. »Colt, das ist mein Neffe. Er kommt heute mit uns.«
    Colt drehte sich um und musterte mich über den Sitz hinweg.
    Nach ein paar Minuten drängte sich im Cadillac eine halbe Tonne Manneskraft. Wir fuhren zwar zum Strand, aber wir hätten genug Gorillas gehabt, um ein Ding zu drehen. Onkel Charlie stellte mich jedem Mann förmlich und steif vor. Freut mich, Kleiner, sagte Joey D, ein Riese mit einem Bausch rötlicher Haare auf dem weichen orangefarbenen Kopf und komischen Gesichtszügen. Er sah aus, als wäre er aus Ersatzteilen von verschiedenen Muppets gemacht, ein Frankenstein aus der Sesamstraße – Kopf von Grobi, Gesicht von Oskar, Brustkorb von Bibo. Wie Colt war er zehn Jahre jünger und behandelte meinen Onkel mit großer Achtung, wie einen untadeligen älteren Bruder. Trotz seiner Größe und nach vorne hängenden Schultern hatte Joey D die manische Energie eines kleinen Mannes. Er ging unglaublich schnell, fuchtelte mit den Händen und redete in Wortkaskaden, die ihn atemlos werden ließen. Ganze Sätze explodierten wie Heuschnupfennieser in einem Schwall aus seinem Mund: Heuteistdasmeerbestimmtrau! Meistens richtete Joey D seine Wortkaskaden an sich selbst, das heißt auf die Brusttasche seines Polohemds. Er war so beseelt und auf seine Brusttasche fixiert, dass ich sicher war, er halte sich dort eine Maus.
    Als Nächstes lernte ich Bobo kennen, dessen Alter unmöglich zu schätzen war, obwohl ich ihn in die Nähe meines Onkels rückte – etwa Mitte dreißig. Bobo war der attraktivste Mann der Gruppe, mit den korngelben Haaren eines Surfers und Armen, die aus seinen Hemdsärmeln platzten, allerdings vermittelte er den Eindruck, dass er mit etwas mehr Schlaf noch weitaus besser aussehen könnte. Er verströmte den Whiskeygeruch der letzten Nacht, einen Duft, den ich mochte, auch wenn Bobo ihn mit einem Liter billigen Rasierwassers zu überdecken versuchte. Während Colt und Joey D sich meinem Onkel beugten, fügte sich Bobo nur seinem Gefährten Wilbur, einem schwarzen Köter mit riesigen, geringschätzig blickenden Augen.
    Mein Kopf schnellte hin und her, als würde ich vier Tennisspiele auf einmal sehen, während ich den Gesprächen der Männer zuhörte. Wenn ich sie richtig verstand, arbeiteten sie alle im Dickens, als Barkeeper, Koch oder Rausschmeißer, und Steve war für sie der Boss. Sie verehrten Steve. Wenn sie von ihm redeten, klangen sie weniger wie Angestellte, sondern eher wie Apostel, wobei nicht immer klar war, ob sie ihn meinten, denn er hatte ziemlich viele Spitznamen, einschließlich Chief, Rio und Feinblatt. Auch jeder der Männer hörte auf einen Spitznamen, den Steve ihm verpasst hatte, nur Onkel Charlie nicht, der zwei hatte – Chas und Goose. Nach zehn Minuten schwirrten so viele Spitznamen in meinem Kopf herum, dass ich das Gefühl hatte, es müssten zehn Männer im Auto sitzen und nicht vier. Die Männer verwirrten mich noch zusätzlich, indem sie eine Liste weiterer Spitznamen herunterratterten, Leute, die am Abend zuvor im Dickens waren, wie Sooty und Sledge und Rifleman und Skeezix und Tank und Fuckembabe.
    »Wer ist Fuckernbabe?«, fragte ich. Mir war klar, eigentlich sollte ich den Mund halten, aber die Frage war mir einfach herausgerutscht. Die Männer sahen sich an.
    »Fuckembabe ist der Hausmeister«, sagte Onkel Charlie. »Fegt den Laden aus. Übernimmt Gelegenheitsjobs.«
    »Und warum nennt ihr ihn Fuckembabe?«
    »Weil er das dauernd sagt«, erklärte Colt. »Oder vielleicht sollte ich sagen, es ist das Einzige, was er sagt und jeder versteht. Wie waren heute die Yankees? Ah, fuck’em, babe. Wie ist die Welt zu dir?

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