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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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etwa mit meinem Opa zusammen?«
    Sie setzte schon zu einer Antwort an, sah dann aber, dass ich nur scherzte. »Wie heißt du?«
    »JR.«
    »Ewing?«
    »Richtig.«
    »Schätze, das hörst du ziemlich oft.«
    »Du bist die Erste.«
    »Und wofür steht JR?«
    »Das ist mein richtiger Name.«
    »Wirklich? Und was treibst du so, JR Ewing, wenn du nicht auf deiner Ranch in Southfork bist?«
    »Ich arbeite in einer Anwaltskanzlei. In der Stadt.«
    »Ein Anwalt?«
    Ich richtete mich gerade auf. Noch nie hatte mich jemand für einen Anwalt gehalten. Ich freute mich schon darauf, es meiner Mutter zu schreiben. Kariertes Kleid holte eine Zigarette aus ihrer Handtasche und fummelte mit einem Streichholzheft. Ich nahm es ihr ab und gab ihr Feuer, wie ich es in Casablanca gesehen hatte. »Und du?«, fragte ich in Onkel Charlies Tonfall. »Was machst du?«
    Sheryl hatte mir geraten, allen Frauen diese Frage zu stellen. Frauen mögen es, wenn man etwas über sie wissen will, sie mögen das sogar lieber als Schmuck, hatte Sheryl gesagt. Also ließ ich meiner Frage noch eine folgen und dann noch eine, ich bombardierte Kariertes Kleid mit Fragen und erfuhr, dass sie als Verkäuferin arbeitete, dass sie ihren Job hasste, dass sie Tänzerin werden wollte und mit einer Zimmergenossin in Douglaston wohnte. Und dass die Zimmergenossin auf Barbados weilte. »Sie kommt erst in einer Woche wieder«, sagte Kariertes Kleid. »Meine Wohnung ist schrecklich leer.«
    Ich biss die Zähne zusammen und sah ihr Bierglas, in dem nur noch ein kleiner Rest war. »Apropos leer«, sagte ich, »ich hol dir noch eins.« Ich ging zur Theke. Sheryl schnitt mir den Weg ab. »Wir müssen los«, sagte sie und packte mich an der Krawatte.
    »Warum?«
    »Onkel Charlie hat dich gesehen und ist sauer.«
    Onkel Charlie war in meinem ganzen Leben noch nicht sauer auf mich gewesen. Ich sagte etwas in der Richtung, dass ich am liebsten nach Alaska abhauen würde. »0 Gott«, sagte Sheryl. »Sei ein Mann.«
    Auf dem Heimweg hatte Sheryl eine Idee. Da wir ohnehin Ärger mit Onkel Charlie hatten, konnten wir ebenso gut aufs Ganze gehen. Sie schlug einen Schlaftrunk in Roslyn vor. Dort waren die Bars lockerer. Sie nahm die Schlüssel von Onkel Charlies Cadillac, und wir fuhren zu einem berüchtigten Laden, in dem ein Achtjähriger einen Tequila Sunrise bestellen konnte, ohne dass jemand mit der Wimper zuckte. »Geh uns zwei Cocktails holen«, sagte sie und schob mich zur Theke. Ich kämpfte mich durch die Menge, und als ich mit zwei Gin Tonics zurückkam, war Sheryl von fünf Marineinfanteristen umzingelt. Sie sahen aus, als würden sie Sheryl an einem Kontrollpunkt aufhalten. »Da ist er ja!«, rief sie, als ich auftauchte.
    »Bist du seine Babysitterin?«, fragte einer Sheryl.
    »Cousine«, sagte Sheryl. »Ich versuche, einen Mann aus ihm zu machen.«
    »Dürfte mächtig schwer sein«, sagte ein anderer. Als er sah, wie ich zusammenzuckte, hielt er mir die Hand hin. »War nur Spaß, Mann. Wie heißt du?«
    »JR.«
    »Was? Ist nicht wahr! Hey Leute, der Typ hier heißt JR!«
    Seine Kameraden schwenkten von Sheryl ab und gafften mich an. »Und wer hat auf ihn geschossen?«
    »Frag, wer auf ihn geschossen hat.«
    »Wer hat auf dich geschossen?«
    Sheryl dachte nicht daran, kampflos aus dem Rampenlicht zu treten. »Hat da jemand was von ’nem Schuss gesagt?«, rief sie. »Den hat er eigentlich schon weg, aber ich schätze, er könnte noch einen vertragen.«
    »Huuu!«, röhrten die Marineinfanteristen. »Ja! Einen Schuss für JR! Gebt ihm einen Kurzen!«
    Einer der Infanteristen reichte mir ein Schnapsglas und befahl mir zu trinken. Ich gehorchte. Es brannte. Ein anderer Infanterist reichte mir noch ein Glas. Ich trank es schneller aus. Es brannte noch mehr. Dann verloren die fünf das Interesse an mir und widmeten sich wieder Sheryl. Sie zündete sich eine Zigarette an. Ich sah, wie sie die erste Rauchwolke im offenen Mund hielt wie einen Wattebausch, bevor sie ihn schluckte, und ich dachte: Natürlich – rauchen. Lässig zündete ich mir eine von Sheryls Zigaretten an, als wäre es meine zwanzigste am Tag und nicht die erste meines Lebens. Ich nahm einen Zug. Nichts. Ich musterte die Zigarette und grinste hämisch. Mehr hast du nicht zu bieten? Ich nahm noch einen Zug. Tiefer. Der Rauch traf mein Brustbein wie eine kurze, harte Rechte. Einem ersten euphorischen Schub folgte Hysterie, dann Übelkeit, dann klassische Malariasymptome. Schwitzen. Zittern. Delirium. Ich schwebte

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