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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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gezogen.«
    »Dachte ich mir schon. Ich habe sie sogar ans Fenster geführt und ihr die Palmen und Kakteen gezeigt, aber sie blieb dabei, New York.«
    Nach der Besuchszeit verließ ich das Krankenhaus und ging in unsere Wohnung zurück. Ich versuchte mich zu beruhigen, indem ich ein Buch las. Keine Chance. Ich schaltete sämtliche Lichter an, schaltete sie alle wieder aus. Ich saß im Dunklen und dachte nach. Ich setzte mich auf die Bank am Kanal und betrachtete das Wasser. Ich war erschöpft, konnte aber nicht ins Bett gehen, denn sobald ich die Augen schloss, sah ich den Augenblick des Aufpralls vor mir. Beklommen und einsam dachte ich an das, was meine Mutter dem Arzt erzählt hatte. In gewisser Weise hatte sie Recht. Ich war zehn Jahre alt.
    Es geschah ohne Planung, Vorwarnung oder auch nur die geringste Überlegung: Meine Hand griff nach dem Hörer und mein Finger wählte die Nummer von Lana, das schillernde Mädchen aus der Highschool, von dem ich Sheryl erzählt hatte. Kurz vor den Sommerferien hatten Lana und ich uns auf einer Party unterhalten und sogar vage angedeutet, uns mal zu treffen. Ich war mir sicher, sie hatte es nicht ernst gemeint, und ich hätte nie erwartet, dass ich den Mut aufbringen und sie anrufen würde. Aber jetzt, da meine Mutter in der Schwebe und meine Psyche im freien Fall war, verspürte ich einen Drang, der über jugendliche Lust hinausging, sofern überhaupt etwas über jugendliche Lust hinausgehen kann. Ich verspürte eine Sehnsucht nach Lana, vergleichbar der Sehnsucht nach dem Publicans, und mir war vage bewusst, dass mein Zustand etwas mit dem Bedürfnis nach Schutz und Ablenkung zu tun hatte.
    Wir trafen uns in einem mexikanischen Restaurant in der Nähe von ihrem Haus. Lana trug ihre kürzesten Shorts und eine geblümte Bluse, die Enden waren an der Taille verknotet. Ein Sommer in der Sonne hatte einen erstaunlichen Schimmer auf ihrer Haut hinterlassen und ihr Haar mit gelb-weißen Strähnen aufgehellt. Ich erzählte ihr von meiner Mutter. Sie war sehr lieb und mitfühlend. Mehr aus Jux bestellte ich eine Flasche Wein, und wir mussten beide grinsen, weil die Bedienung uns nicht nach den Ausweisen fragte. Als wir nach dem Essen zum Parkplatz gingen, wirkte Lana beschwipst. »Ist das dein neues Auto?«, fragte sie.
    »Ja. Ein Hornet.«
    »Das seh ich. Hübscher Rennstreifen.«
    »Der ist orange.«
    »Ja, orange.«
    Ich fragte, ob sie früh nach Hause musste.
    »Eigentlich nicht«, sagte sie. »Woran hast du gedacht?«
    »Es gibt zwei Möglichkeiten. Wir können uns einen Film ansehen. Oder wir besorgen uns Bier und fahren auf den Camelback.«
    »Camelback. Ganz klar.«
    Ein Kumpel hatte mir einmal die vielen Seufzergässchen gezeigt, die den ersten Höcker am Camelback Mountain überzogen. Er ging gern dorthin und schnüffelte Liebespaaren hinterher, wenn er sich langweilte und geil war. Doch das war Monate her, und es war helllichter Tag gewesen, jetzt hingegen herrschte dunkle mondlose Nacht. Nichts kam mir bekannt vor, als ich den Höcker hoch und runter und rundherum fuhr, in der Hoffnung, Lana würde nicht nüchtern oder unruhig werden. Sie fummelte am Radio herum, während ich ihr sagte, ich möchte unbedingt eine besondere Stelle finden, die einen atemberaubenden Blick und absolute Abgeschiedenheit bot, vergaß allerdings zu erwähnen, dass sie oben auf einer steilen Felswand lag. Nach fünfundvierzig Minuten fand ich endlich die unbefestigte Straße, die an der Seite des Höckers nach oben führte und dann an einem Steilhang endete, der zu der besonderen Stelle führte.
    »Bist du bereit zu klettern?«, fragte ich und schloss den Hornet ab.
    »Klettern?«
    Ich hielt die Tüte mit dem Löwenbräu in einer Hand und Lanas Arm in der anderen. Mit jedem Schritt wurde der Hang steiler. Lana fragte keuchend, wie weit es noch sei. »Nicht mehr weit«, sagte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte. Mit meinem Kumpel war ich ja nicht geklettert, sondern hatte ihm lediglich abgekauft, was er mir erzählt hatte. Schließlich wurde der Hang eine nahezu vertikale Wand. »Aua!«, sagte Lana. Sie hatte einen Kaktus gestreift und sich den Oberschenkel aufgekratzt. Sie blutete. Weiter oben wölbte sich die Wand über uns. Ich warf die Tüte mit dem Bier hoch, zog mich mit einem Klimmzug über die Kante, dann griff ich nach unten und packte Lana. Als wir beide den Gipfel erreicht hatten, legten wir uns auf den Rücken, keuchten, lachten und begutachteten ihre Verletzung. Dann krochen wir bis

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