Tenebra 1 - Dunkler Winter
starrte mir ins Gesicht. Sein Mund verhärtete sich. »Ich denke ja. Standesgenosse oder nicht, er ist eine Belastung. Du hingegen bist eine Stütze. Wenigstens für mich. Was mich zum entscheidenden Punkt bringt: Lass dich nicht umbringen.« Sogar durch den Achselpanzer fühlte ich seinen Griff auf meine Schulter als einen unbestimmten Druck.
Ich nickte, hob den Schild auf und schob den linken Arm durch die Schlaufen. Er hatte eine gute Balance. Die Streithacke kam in meine Hand, schwer und massiv. Ich war bereit.
Als wir aufeinander zu schritten, beobachtete ich meinen Gegner. Er war groß, vielleicht ein wenig größer als ich, und kräftig gebaut. Das wurde durch die Rüstung verstärkt. Im Gegensatz zu meinem offenen Helm trug er einen mit geschlossenem Visier, dazu eine Halsberge und überlappende Schutzbleche für den Unterleib. Sein Schild war klein und rund, ein an den linken Arm geschnallter Buckelschild, der hauptsächlich zur Schaustellung seines Wappens diente. Er trug ein Langschwert, das die Reichweite meiner Streithacke wesentlich übertraf und zweifellos auch schneller zu handhaben war. Ein mit beiden Händen und voller Kraft geführter Hieb würde meine Rüstung sicherlich durchschlagen; ein Stoß in Gesicht, Kehle oder Unterleib konnte tödlich für mich sein.
Schweiß rann mir von den Schläfen, vom Stirnband aus dem Gesicht gehalten. Ich konnte mich bereits riechen. Die Rüstung fühlte sich noch immer beschwerlich und unbeholfen an.
Auf fünf Schritte Abstand machten wir Halt. Keine Ankündigung, keine Namensnennung durch einen Herold. Der Graf nickte seinem Knappen zu, der sich im Sattel vorwärts beugte. Die Menge der Dorfbewohner verstummte, ihn zu hören.
»Lasst sie anfangen!«, rief er. De Lacy riss ausholend das Schwert hoch und verlagerte das Gewicht auf den rückwärtigen Fuß, den Kopf außerhalb meiner Reichweite. Er hielt das Schwert beidhändig über der rechten Schulter, sodass der Buckelschild seine Brust schützte. Eine kämpferische Haltung, heroisch wie eine Statue. Ich hob meinen Schild bis zur Schulter und bewegte mich seitwärts nach links. Er drehte sich mit mir, um mich gegenüber zu halten, dann sprang er mit beiden Füßen vor und schlug zu.
Die nächsten zehn Sekunden verbrachte ich mit dem Versuch, am Leben zu bleiben. Mit drei Hieben kam er beinahe durch und ich konnte nichts tun als parieren und abblocken.
Am Ende seines ersten Angriffswirbels sprang ich vor, stieß ihn mit dem Schild zurück und brachte einen Schlag ins Ziel. Es war kein schwerer Treffer, traf aber eine Achsel hart genug, dass er eine Prellung davontragen musste. Er ging noch ein wenig zurück.
Schweiß rann. Ich hoffte, er würde nicht das Filzband im Helm durchtränken und mir in die Augen rinnen. Ich versuchte seine Augen hinter dem Sehschlitz auszumachen. Er würde nicht viel mehr als nach vorn sehen können und die Sonne zu meiner Rechten war über den Horizont gestiegen. Ich schlug einen Bogen nach rechts und ging wieder vor.
Ein ebenbürtiger Austausch. Ich traf seinen Rundschild, sein einhändig geführter Gegenschlag kerbte meinen Schild, glitt ab und kratzte eine Furche. Wir trennten uns wieder, atmeten beide schwer.
Ich musste ihn in Bewegung halten, also griff ich wieder an, und er kam mir entgegen. Die Spitze ist jederzeit wirkungsvoller als die Schneide eines Schwertes und er stieß jetzt. Ich schwang die Streithacke nach seiner Flanke, aber er blockierte den Hieb mit dem Rand des Buckelschildes. So gelang es nicht, obwohl sein Schild entzwei ging. Ich hatte nicht die Zeit, ewig an ihm herumzupicken. Früher oder später würde er mit dem Schwert durchkommen.
Und das tat er. Ich veränderte die Schildstellung einen Augenblick zu früh, und er änderte die Stoßrichtung zur Innenseite des Schildarmes. Die Spitze bohrte sich in den Panzer, brach durch und schnitt mich unter der Oberarmröhre. Ich blutete, und der Schmerz riss Löcher in meine Aufmerksamkeit. Ich wankte, als er das Schwert herausriss und einen lauten Triumphschrei ausstieß.
Nun ging er zurück. Gesichtslos wie er war, konnte ich kein selbstgefälliges Lächeln sehen, aber er wusste, dass er gewonnen hatte. Ich blutete; er brauchte nur zu warten, bis ich schwächer wurde, bis mein Arm den Schild nicht länger hochhalten konnte und sinken ließ. Dann würde er freie Bahn haben. Der Schild zog meinen Arm abwärts, schien mit jeder Sekunde schwerer zu werden, machte mich unbeholfen. Der Schmerz schrie und heulte
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