Tenebra 2 - Dunkle Reise
zurück, um im Laternenschein hinaufzuspähen. Über uns war ein Schacht, der auch mit Metall ausgekleidet schien. Kaitief begann die Leiter zu ersteigen, und wir folgten.
Nach fünf Rungen machte er Halt und spähte durch ein Guckloch. Dann kletterte er herum auf die andere Seite der frei hängenden Leiter und sah durch ein weiteres Guckloch, wobei er sich reichlich Zeit ließ. Endlich schien er befriedigt, erkletterte drei weitere Rungen, drehte einen Handgriff und drückte gegen eine Tür, die sich, oben eingehängt, wie eine Klappe nach außen öffnete. Kaitief blies die Öllampe in der Laterne aus, und wir sahen wieder Tageslicht. Spätes Licht. Draußen auf der Welt ging die Sonne unter. Tief sog ich die Luft ein, die mit dem Licht durch die Öffnung zu uns drang. Sie duftete nach Heidekraut und Sumpfmyrte.
Kaitief stieg hinaus und trat beiseite, während wir folgten. Als wir draußen waren, schloss er wieder die Tür. Sie war von einer Schicht moosigen alten Holzes bedeckt, das wenigstens eine Handspanne dick war. Wir waren unter einem umgestürzten toten Baum herausgekommen, dessen Stamm halb in morastigem Boden versunken war. Sobald Kaitief die Tür verschlossen hatte, war nichts mehr von ihr zu sehen; dickes Moos bedeckte ihre Umrisse.
Der Morast hatte sich in einer Senke zwischen zwei niedrigen braunen Hügeln gebildet, die von lichtem Wald mit dichtem Unterholz überwachsen waren. Jeder Wanderer, den es an solch einen Ort verschlug, würde die morastige Senke umgehen, wo man nur Gefahr lief, sich nasse Füße zu holen oder bis zu den Knien im sumpfigen Boden zu versinken. An diesem kühlen Frühherbstabend, an dem der Wind traurig in den Zweigen seufzte, drückte die Verlassenheit des Ortes aufs Gemüt.
Ich stand eine Weile, um die Orientierung zu finden. Die Sonne war rechts vor uns untergegangen, zumindest war der Himmel dort noch am hellsten, also war unsere Blickrichtung Südwesten. Ich atmete tief, erfreute mich der lebendigen Luft und des Umstandes, dass meine Rippen nicht mehr schmerzten, dann schulterte ich meinen Rucksack und folgte den anderen in meiner üblichen Rolle als Nachhut. Kaitief ging voraus. Ich hielt es für wahrscheinlich, dass er wenigstens im weiteren Umkreis die Gegend kannte.
So war es auch. Wir hielten uns am östlichen Hang, und als wir uns dem Rücken näherten, kroch er hinauf und spähte zur anderen Seite hinüber, wo Sarburg liegen musste. Dann kehrte er um, stand nach ein paar Schritten auf und nickte. Nichts in Sicht. Wir marschierten weiter den Kamm entlang – parallel zum Höhenrücken – und hielten südwestliche Richtung, immer darauf bedacht, der Höhe des Rückens nicht zu nahe zu kommen, weil dort die Gefahr bestand, dass unsere Silhouetten sich gegen den Abendhimmel abzeichneten. Niemand sprach. Das Licht verblasste nach und nach, und am Himmel erschienen Sterne und ein zunehmender Mond.
Nachtmärsche sind immer riskant, und das umso mehr, wenn man darauf achten muss, nicht zu viele Spuren zu hinterlassen. Die Richtung muss durch Markierungspunkte bestimmt und sorgfältig beobachtet werden, sonst kommt man allzu leicht von der geraden Linie ab und läuft im Kreis herum. Aber die Topographie des Landes kam uns zustatten. Wir bewegten uns entlang der Streichrichtung der Höhenzüge, die von Nordosten nach Südwesten verlief. Ungezählte Meilen voraus lag die See, aber wir wollten nicht so weit nach Süden vordringen, sondern nach Westen abbiegen, sobald wir einen sicheren Abstand zwischen uns und Barras gelegt hätten, und über die westlichen Moore auf die Kette des Bruchfaltengebirges zuhalten. Auch hinter uns lagen Berge, die Vorposten des schneebedeckten Jotungebirges. Die Hügelrücken um uns wurden nach Norden zu höher und steiler und gingen allmählich in die Vorberge über, während wir ihren letzten Ausläufern in die Moor- und Heidelandschaften der westlichen Marken folgten. Diese von Stechginster und Heidekraut, Legföhren und Krüppelbirken bedeckten, leicht gewellten Moore erstreckten sich über mehr als hundert Meilen, durchsetzt von Sumpfgebieten und durchzogen von Wasserläufen, die allesamt nach Süden flössen. Wir mussten dieses Land zu Fuß von Nord nach Süd und von Ost nach West durchqueren, bis wir die Berge im Westen des Kontinents erreichten. Wenn wir unsere Sache gut machten, würden wir irgendwo in der Nähe des Orimentpasses das Bergland erreichen. Oder wir würden vielleicht vorher schon auf Außenposten des Ordens stoßen.
Weitere Kostenlose Bücher