Tenebra 2 - Dunkle Reise
Wahrscheinlichkeit, bei Tageslicht entdeckt zu werden, viel größer, wenn Barras Späher ausgesandt hat. Der Tarnstoff kann Bewegung nicht verbergen; nichts kann das.«
Ariennes Blick wanderte über den Himmel. Sie beschirmte die Augen mit einer Hand. »Aber es gibt andere Augen, die Barras' Späher sehen können, wenn er welche hat«, sagte sie. »Dort.« Sie streckte den Arm aus. Dort oben kreiste ein Adler oder Bussard, ein Punkt im endlosen Blau.
Silvus beobachtete sie, als sie zum Bach ging und eine Hand ins Wasser tauchte – das Wasser, das aus einer Quelle im steinigen Bergland kam, aus der Erde sprudelte und sich sein steiniges Bett gegraben hatte. Sie beobachtete den Raubvogel, dann schloss sie die Augen, und ihr Gesicht wurde geistesabwesend, vermischt mit einer Ahnung von der wilden Liebe des Adlers zu den grenzenlosen luftigen Räumen, als sie seinen Geist mit ihm teilte. Ich starrte mit zusammengekniffenen Augen zu dem kreisenden Raubvogel hinauf, für den die Erdoberfläche eine Serie von Runzeln war. Drei weite Kreise zog er am Himmel, hielt Ausschau nach einer Bewegung im welligen Heideland.
»Dort läuft Kaitief, nördlich von uns«, murmelte sie. »Meine Güte, kann er gehen! Er ist schon meilenweit entfernt.« Und dann spannte sich ihr Körper, und sie öffnete die Augen. »Pferde. Südwärts von uns und unterwegs hierher.« Sie verließ den Bach und kam zu uns. Ich hatte meinen Rucksack geöffnet und Brot herausgenommen. Ich tat es zurück, schloss ihn und zog die Gurte über die Arme.
Silvus ahmte schon meine Bewegungen nach. »Wie viele und wie weit?«
Sie zählte in Gedanken. »Fünf Reiter. Ungefähr eine Meile südlich. Und vor ihnen ist ein Mann zu Fuß. Sie folgen ihm ohne Eile, weil sie noch nicht in seiner Sichtweite sind, aber er hinterlässt eine Spur, der ein Kind folgen könnte. Und er muss sehr erschöpft sein. Ein Raubvogel ist sehr gut darin, Anzeichen von Erschöpfung zu erkennen.«
»Dann ist es wahrscheinlich nicht unser Problem«, sagte Silvus.
»Ich fürchte, das ist es schon«, erwiderte Arienne. »Der Adler konnte ihre Gesichtszüge natürlich nicht erkennen, aber sie waren Soldaten in Gelb und Schwarz.«
Ich lockerte das herrliche Schwert in seiner Scheide.
Silvus streckte die Hand aus. »Werden sie in unsere Sichtweite kommen?«
Arienne wandte sich um und spähte wieder zu dem Raubvogel auf. Er hatte eine Thermik gefunden, schraubte sich höher und war nicht mehr als ein winziger Fleck im Blau. Ihre Augen wurden schmal. »Nein«, antwortete sie. »Es sei denn, der Verfolgte würde die Richtung ändern. Wie es jetzt aussieht, werden sie eine halbe Meile westlich vorbeireiten.«
»Sonst nichts? Keine anderen Späher?«
»Nein. Ich bin sicher, dass der Vogel sie gesehen hätte. Barras hatte ohnehin nur etwa ein Dutzend Männer zur Verfügung.«
»Und sie verfolgen jemanden. Der Feind meines Feindes…« murmelte Silvus mit einem Blick zu mir. »Außerdem haben sie Pferde.«
»Fünf Pferde für fünf Mann«, erinnerte ich ihn.
»Der Überraschungseffekt verdoppelt die eigenen Streitkräfte«, erinnerte er mich. Zu Arienne: »Haben wir Zeit, sie abzufangen?«
Sie nahm wieder Verbindung mit dem Raubvogel auf. »Ich denke schon. Sie bewegen sich alle langsam.«
Unteroffizier Dray von der Garde war früher Jäger gewesen, was der Grund dafür war, dass er diesen Auftrag erhalten hatte. Aber jeder Dummkopf konnte dieser Fährte folgen. Niedergetretenes Farnkraut, Fußabdrücke im feuchten Boden und abgebrochene Heidekrautzweige markierten sie. Es gab nur ein Tier in dieser verlassenen Gegend, das groß genug war, solche Spuren zu hinterlassen. Dennoch kam ein Fährtensucher nicht allzu schnell voran, und sein Trupp konnte die Pferde nur im Schritt gehen lassen. Immerhin war die Fährte deutlicher geworden, als sie aufgeholt hatten und der Flüchtige müde wurde. Müdigkeit und Erschöpfung würden seine geringsten Probleme sein, wenn Leutnant de Barras ihn in die Hände bekäme. Dray blinzelte zur Sonne auf. Bei diesem Tempo sollten sie ihren Mann noch vor dem Dunkelwerden einholen. Er konnte nicht weit voraus sein.
Auch gut. Leutnant de Barras legte Wert darauf, diesen Mann zu fangen. Im Gegensatz zu den anderen – dem Ritter, dem Knappen und diesem Teufelsmädchen, das sie alle hereingelegt hatte – hinterließ dieser Spuren, die verfolgt werden konnten. Und der Leutnant würde ihn lebendig wollen, obwohl ziemlich sicher war, dass der Mann gegen seine
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