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Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer

Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer

Titel: Tensegrity. Die magischen Bewegungen der Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Wahrnehmung ohne ihren üblichen Begleiter, den inneren Dialog, gleichsam in ein dunkles Loch stürzt. Der Körper, sagte er, funktioniere wie üblich, doch die Wahrnehmung sei geschärft. Entscheidungen würden sofort getroffen und schienen aus einer besonderen Art von Wissen zu kommen, die nicht auf die Verbalisierung von Gedanken angewiesen sei. Wenn die menschliche Wahrnehmung in einem Zustand der inneren Stille stattfindet, kann sie, wie Don Juan sagte, unbeschreibliche Ebenen erreichen. Einige dieser Wahrnehmungsebenen sind Welten für sich, ganz andere als die Welten, die beim Träumen erreicht werden können. Es sind unbeschreibliche Zustände - unbeschreiblich im Sinne der linearen Paradigmata, mit denen die menschliche Wahrnehmung in ihrem normalen Zustand arbeitet, um das Universum zu erklären.
    Die innere Stille, wie Don Juan sie verstand, war die Matrix eines gewaltigen Schritts der Evolution - des Schritts zum stillen Wissen oder auf die Stufe menschlichen Bewußtseins, wo sich Wissen und Erkenntnis automatisch einstellen und unmittelbar sind. Wissen auf dieser Ebene ist nicht das Produkt zerebraler Denkprozesse oder logischer Induktion und Deduktion oder von Verallgemeinerungen aufgrund von Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten. Es gibt kein A priori auf der Ebene des stillen Wissens, nichts, was einen Wissensschatz bilden könnte, denn alles befindet sich im unmittelbaren Jetzt. Komplexe Informationen können ohne kognitive Präliminarien aufgenommen werden.
    Don Juan glaubte, daß schon den frühen Menschen eine Ahnung von diesem stillen Wissen gegeben war, daß sie das stille Wissen aber nicht wirklich besaßen. Diese Art Ahnung war unendlich viel stärker als das, was der moderne Mensch heute erlebt, da der Großteil allen Wissens das Produkt mechanischen Lernens ist. Es ist ein Axiom der Zauberer, daß der Weg zum stillen Wissen, obwohl wir diese Ahnung verloren haben, den Menschen immer offenstehen wird, und zwar mit Hilfe der inneren Stille.
    In dieser Hinsicht vertrat Don Juan Matus den harten Standpunkt seiner Tradition: Die innere Stille muß durch den Druck dauernder Disziplin erworben werden. Sie muß Stück für Stück, Sekunde um Sekunde angesammelt oder gespeichert werden. Mit anderen Worten, man muß sich zum Schweigen zwingen, und sei es nur für ein paar Sekunden. Laut Don Juan war es bei den Zauberern allgemein bekannt, daß Beharrlichkeit, wenn man sich nur ausdauernd bemüht, die Gewohnheit überwindet, wodurch es möglich ist, einen gewissen Schwellenwert von gesammelten Sekunden und Minuten zu erreichen, der von Mensch zu Mensch verschieden ist. Wenn die Schwelle der inneren Stille für ein bestimmtes Individuum zum Beispiel bei zehn Minuten liegt, so stellt sich die innere Stille von selbst ein, sozusagen aus eigenem Antrieb, sobald diese Schwelle erreicht ist.
    Ich war also im voraus gewarnt, daß es unmöglich wäre herauszufinden, wo meine individuelle Schwelle liegen könnte, und daß ich dies nur durch direkte Erfahrung feststellen würde. Genauso geschah es. Nach Don Juans Empfehlung hatte ich mich beharrlich gezwungen zu schweigen, und eines Tages, während ich über den Campus der UCLA ging, erreichte ich meine mysteriöse Schwelle. Ich wußte, ich hatte sie erreicht, weil ich ganz plötzlich etwas erlebte, das Don Juan mir ausführlich beschrieben hatte. Er nannte es das Anhalten der Welt. Von einem Moment auf den anderen hörte die Welt auf zu sein, was sie war, und zum ersten Mal im Leben wurde mir bewußt, daß ich Energie im Universum fließen sah. Ich mußte mich auf eine Steintreppe setzen. Ich wußte, ich saß auf einer Steintreppe, aber ich wußte es nur intellektuell, mit meinem Gedächtnis. Empirisch saß ich auf Energie. Ich selbst war Energie wie alles um mich her. Ich hatte mein Interpretationssystem außer Kraft gesetzt.
    Nachdem ich Energie unmittelbar gesehen hatte, wurde mir etwas klar, das mir den Schreck meines Lebens einjagte - und was mir niemand außer Don Juan befriedigend erklären konnte. Mir war bewußt geworden, daß ich, obwohl ich zum ersten Mal im Leben gesehen hatte, bereits mein ganzes Leben lang Energie im Universum hatte fließen sehen, aber ich war mir dessen nicht bewußt gewesen. Energie im Universum fließen zu sehen, war mir nicht neu. Das Neue war eine Frage, die sich mir so ungestüm stellte, daß ich gleich wieder zur Oberfläche der alltäglichen Welt auftauchte. Ich fragte mich, was mich daran gehindert habe zu erkennen, daß

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