Tentakelblut (German Edition)
geeilt und hatte Roby an sich gedrückt. Sie hatten nicht viel Zeit füreinander, denn Roby war mit Startvorbereitungen beschäftigt gewesen und Bella gehörte zu jenen, die mit dem ersten Shuttle zum Fluchtraumschiff reisen würden, um die Schlafkammern für die Neuankömmlinge vorzubereiten. Sie hatten nur relativ wenige Ärzte mit Fachwissen in kryogener Stasis unter den Flüchtlingen, und so war eine Reihe intelligent wirkender Kirchenmitglieder in der Bedienung der Kapseln unterwiesen worden. Bella wirkte nicht nur intelligent, sie verfügte in der Tat über eine rasche Auffassungsgabe und gehörte nun zum Team jener, die die an Bord eintreffenden Flüchtlinge in die Kammern packen und für die lange Reise einfrieren würden. Roby fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, für Bellas Sicherheit verantwortlich zu sein, wusste aber auch, dass sich dieser Moment nicht länger hinausschieben ließ. Ihm würde ein Asteroid vom Herzen fallen, wenn sie wohlbehalten auf der Arche angekommen sein würde.
Sie hatte sich mit einem weichen, warmen Kuss von ihm verabschiedet, und während Roby die Menschenschlange beobachtete, die sich dem Shuttle zuwandte, versuchte er, sich immer wieder bewusst an dieses Gefühl zurückzuerinnern. Es gab so wenige schöne Augenblicke in seinem Leben der letzten Wochen, er musste einfach das festhalten, was ihn aufrechthielt. Bella hielt ihn aufrecht, und das mehr, als er ihr gegenüber zugeben würde. Was wiederum albern war, denn wer wusste, wann er ihr jemals wieder davon erzählen konnte?
Aber so war es eben.
Die Hanna selbst war schon startbereit und wartete nur noch auf den Abschluss der Verladeaktion. Seine Kameraden nutzten die Zeit, um noch eine halbe Stunde Schlaf zu bekommen, doch Roby fühlte eine so starke innere Unruhe in sich, dass er genau wusste, dass er sich nicht mehr würde entspannen können. Smith hatte ihnen vorhergesagt, dass derzeit die Kampfhandlungen im Erdorbit eine gewisse Ruhephase durchzumachen schienen, und er hoffte, dass sie diesmal keinen Tentakeln begegnen würden. Der Flug würde daher möglicherweise Gelegenheit bieten, dass sie alle in zwei Schichten immer mal wieder eine Stunde würden einnicken können. Roby hoffte darauf. Er wusste, welchen Raubbau er an seinem Körper betrieb. Andererseits war er sich auch der Tatsache bewusst, dass er keine Ruhe finden würde, ehe Bella nicht an Bord der Arche war. Er wollte nicht im Schlaf durch eine Bedrohung überrascht werden, die ihr nachher zum Verhängnis wurde.
Das würde er sich niemals verzeihen.
Er schaute auf.
Etwas tat sich. In die Schlange kam Bewegung. Protestrufe wurden laut. Rahels, die die Absicherung übernommen hatten, wurden aufmerksam. Sie erhoben keine Waffen – hier gab es keine Feinde, nur Verwirrte –, aber sie spazierten gelassen auf die Unruhestelle zu.
Jemand löste sich aus der Schlange und rannte. Er eilte nicht auf den Shuttle zu, war keiner der Irren, die meinten, sie würden durch Vordrängeln tatsächlich einen Platz in dem Transport erhaschen.
Dieser hier wusste, wohin er wollte.
Es war ein Mann und sein Ziel war die Hanna .
Roby, der sich bisher müde an die Außenhülle der Korvette gelehnt hatte, stieß sich ab und seine Hand wanderte unwillkürlich zum Gürtel, in dem unter anderem eine kleine Handfeuerwaffe steckte. Doch er zog sie nicht, als er erkannte, wer da auf ihn zulief.
Das war zu erwarten gewesen , dachte er.
Roby seufzte und richtete seine Augen für einen Moment in stummer Klage in den Himmel.
Es war Agent Piotrowski.
Und er sah aus, als wäre er endgültig völlig durchgeknallt.
Seine Augen waren weit aufgerissen. Er hatte seine Jacke falsch zugeknöpft. Sein Haar stand ihm wild zu Berge. Sein Mund war halb geöffnet, verzogen zu einem falschen Grinsen, das Roby nur zu gut in Erinnerung hatte, in dieser panischen Gesamterscheinung aber nicht mehr bedrohlich, sondern nur noch albern wirkte.
Roby hob die Augenbrauen, als der Mann vor ihm zum Stillstand kam. Piotrowski keuchte. Er schwitzte. Er machte einen dermaßen derangierten Eindruck, das Roby beinahe über ihn gelacht hätte. Doch der Agent war immer noch das alte Scheusal, dessen war er sich sicher.
»Sergent!«, rief Piotrowski und holte tief Luft. »Sie müssen mich an Bord lassen!«
Roby deutete mit einem Finger auf den Shuttle. »Dort? Das geht nur, wenn Sie auf der Liste stehen.« Er sprach ruhig wie zu einem ungezogenen Kind.
»Natürlich«, erklärte Piotrowski mit falschem Lächeln.
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