Tentakelblut (German Edition)
einfache Rede, ein wenig Heischen um Mitleid, ein Hinweis auf das schreckliche Schicksal der Menschheit, die Eigendarstellung als geläutertes Individuum.
Slap war jedoch zu dem Schluss gekommen, dass all dies zu nichts führen würde.
Er musste die großen Geschütze auffahren. Und diese würden nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn er es allein tat, nicht abgesprochen, und dabei ein Risiko einging, das er schwer kalkulieren konnte.
»Was für eine Demonstration wäre das, Menschling?«, fragte nun Tansh und stieß sein charakteristisches Gelächter aus. »Wirst du uns zeigen, wie flink du klettern kannst?«
Slap lächelte und verbeugte sich ein zweites Mal vor dem Ratsherrn.
Er schloss kurz die Augen.
Dann hörte er den Aufschrei, den Tumult.
Er öffnete seine Lider.
Tansh war fort.
Slap blieb einfach so da stehen, völlig unbeweglich, und ließ den Aufruhr über sich hineinbrechen. Der Gong ertönte mehrmals. Die Stimme des Tagungspräsidenten drang an sein Ohr.
»Wo ist der Ratsherr? Was ist geschehen?«
Slap hob eine Hand.
Stille kehrte ein. Angst lag in der Halle. Slaps Augen suchten den Blick von Mirinda, fanden ihn und trafen auf ein erstes Verstehen, eine erschrockene Erkenntnis. Slap nickte ihr zu, für den Rest der Zuschauer eine sinnlose Geste.
»Verehrter Rat«, sagte er dann. »Ich darf Sie auffordern, den Körper von Ratsherr Tansh in seiner Unterkunft aufzusuchen und ihn von der Verbindung zum Virtuum zu trennen. Es könnte sein, dass er körperlichen Schaden genommen hat oder zumindest psychischen, obgleich ich mich vergewissert habe, dass der Failsafe auf höchste Empfindlichkeit geschaltet wurde.«
Der Tagungsleiter erhob sich hinter ihm.
»Woher wissen Sie, dass dies nicht real ist, Mensch Slap?«
Slap machte eine abwinkende Handbewegung.
»Es ist doch real. Es ist die einzige Möglichkeit, mit mir so zu interagieren, dass ich mich in einer normalen Umgebung wiederfinde, nicht wahr? Es ist keine Illusion, aber es ist das Virtuum. Ich war immer hier. Ich war hier seit …«
Slap hielt inne.
»Seit ich eines Tages aus meinem Schlaf erwacht bin.«
Er sah sich suchend um.
»Was ist mir meinem Körper?«
Die Stille um ihn herum verlor ihre Angst. Mirinda erhob sich und ließ sich auf die Plattform tragen. Sie stellte sich neben Slap, ergriff seine Hand, ihr Gesicht zeigte Trauer und Mitgefühl und Sorge, und Slap fühlte sich in dem bestätigt, was er insgeheim die ganze Zeit angenommen hatte.
Die Ratshalle verblasste um ihn herum. Er zwinkerte und fand sich in seiner vertrauten Unterkunft wieder, direkt neben dem zerwühlten Bett, so wie Mirinda es heute Morgen zurückgelassen hatte. Sogar ihr vertrauter Duft hing noch im Raum.
Was für eine perfekte Illusion.
»Und?«, fragte Slap ohne jede Herausforderung in der Stimme.
»Dein Körper existiert nicht mehr, Slap«, sagte Mirinda leise. »Er starb im Sonnensystem, soweit wir wissen. Die Verbindung ist abgebrochen und noch nicht wiederhergestellt worden.«
»Was bin ich?«
»Du bist du.«
»Eine … Aufzeichnung?«
»Eine sehr vollständige Kopie deiner Bewusstseinsmatrix.«
»Ich bin eine Kopie.«
Mirinda legte ihren Kopf an den seinen und wisperte.
»Fühlst du dich unvollständig? Hast du Zweifel an deiner Existenz? Fühlst du dich deiner bewusst?«
Slap schloss seine Augen und horchte in sich hinein. Seit der Verdacht in ihm hochgekrochen war, hatte er sich diese und andere Fragen immer wieder gestellt. War er zu einer abschließenden Antwort gekommen?
»Ich bin … ein Slap.«
»Nach allem, was wir wissen, bist du der einzige.«
Er öffnete die Augen und schaute Mirinda an.
»Wer bist du?«
»Ich bin ebenfalls eine Kopie, wenn du so willst. Die körperliche Mirinda ist in deinem Sonnensystem. Was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht. Ich wurde hier auf der Basis der Matrizenvorlage generiert, die auch der Erschaffung der ersten, körperlichen Version diente. Wir sind beide vollwertige Lebewesen, Slap. Wir genießen alle Rechte. Wir sind nicht nur Software.«
»Das würde ich gerne glauben.«
»Du musst nichts glauben. Erfahre es.«
»Kann ich einen Körper bekommen?«
Mirinda nickte. »Das ist möglich. Wir haben darauf verzichtet, weil du hier in der virtuellen Welt deine Fähigkeiten besonders gut zur Wirkung hast bringen können. Dein Bewusstsein hat sich angepasst. Du hättest diese Fortschritte sicher nicht gemacht, wenn du weiterhin vornehmlich körperlich gewesen wärst. Aber jetzt, wo du es
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