Teranesia
enthüllen.
Er überlegte, wie er anfangen sollte. »Hat Ihre Familie gestern Abend begeistert auf die Neuigkeiten reagiert?« Er hatte nicht gelauscht; sie hatte vor seinen Augen mit ihrem Sohn gesprochen, als er zum Schlafen nach draußen gegangen war.
Grant runzelte die Stirn. »Neuigkeiten? Sie meinen die Taubengene? Davon durfte ich nichts erzählen; mein Vertrag verpflichtet mich zur Verschwiegenheit.«
Prabir war schockiert. »Aber Sie…«
»Und Sie dürfen auch niemandem davon erzählen. Insbesondere nicht Ihrer Schwester.«
Prabir wollte schon entgegnen, dass er keinerlei vertragliche Verpflichtungen eingegangen war, aber er hielt es für keine gute Idee, sie mit der Nase darauf zu stoßen, dass sie unklug gehandelt haben könnte, als sie sich ihm anvertraut hatte.
»Was ist mit Wissenschaftlern geschehen, die Daten weitergegeben haben?«, fragte er.
»Willkommen in der Wirklichkeit.«
»Und Sie sind damit zufrieden?«
»Ich bin überglücklich. Ich liebe es, gewürgt zu werden.« Grant zupfte gereizt an etwas, das den Ärmel ihres T-Shirts hinaufkriechen wollte.
»Warum haben Sie es dann getan? Warum haben Sie den Vertrag unterschrieben? Hätten Sie sich nicht stattdessen der Universitätsexpedition anschließen können?«
»Ich bin keine Akademikerin. Jeder Teilnehmer dieser Expedition bezieht von irgendwo sein Gehalt – mit Ausnahme studentischer Sklavenarbeiter wie im Fall Ihrer Schwester. Wenn der unwahrscheinliche Fall eingetreten wäre, dass man mich überhaupt an Bord gelassen hätte, hätte ich für dieses Privileg bezahlen müssen. Meine Arbeit macht mir Spaß, aber ich mache sie nicht aus reiner Gutmütigkeit. Ich muss eine Familie ernähren.«
Prabir hatte nicht die Absicht, ihre Karriereentscheidungen einer genaueren Analyse zu unterziehen. »Wie lange hält es an? Das Würgen?«
»Das kommt darauf an. Manche Dinge werden nach einigen Monaten von den Anwälten zur Veröffentlichung freigegeben. Bei anderen kann es Jahre dauern.«
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass seine Eltern während all der Jahre auf der Insel nichts publiziert hatten. Sie waren von Silk Rainbow bezahlt worden. Sie mussten irgendein Abkommen getroffen haben.
Grant runzelte die Stirn. »Alles in Ordnung?«
»Nur etwas Seitenstechen.«
»Sie haben nicht vor, mich aus Protest im Stich zu lassen?«
»Wohl kaum.« Es hätte ihm nicht solche Schmerzen bereiten dürfen. Sie hatten sich auf einen kleinen Kompromiss eingelassen, um etwas tun zu können, das andernfalls niemals getan worden wäre. Wann hatte er begonnen, sie sich als untadelig und mustergültig vorzustellen?
Grant machte kehrt und schwamm zum Schiff zurück. Prabir rief ihr nach: »Ab jetzt gilt eine neue Regel. Wer als erster aus dem Wasser ist, macht das Frühstück.«
*
Grant hatte sich sechs kleine Inseln ausgesucht, auf der sie Proben sammeln wollte. Sie lagen in einem Bogen, der von den Bandas in südöstlicher Richtung zu den Kai-Inseln verlief. Alle waren unbewohnt, es sei denn, es gab so kleine Siedlungen, dass sie der Aufmerksamkeit der offiziellen Kartographen entgangen waren. Die dritte lag nur siebzig Kilometer nordöstlich von Teranesia, nur wenig näher als die Tanimbar-Inseln im Süden. Wäre sie damals auf den Karten verzeichnet gewesen, wären Prabir und Madhusree vielleicht dort gestrandet.
Als er sich Grant in Ambon angeschlossen hatte, war er davon ausgegangen, er könnte sie irgendwie zur Quelle der Mutationen ›steuern‹. Das war natürlich illusionär, aber die Route, die sie gewählt hatte, führte ihn bereits so nahe heran, wie er sich wünschen konnte. Ansonsten blieb ihm nur die Hoffnung, dass das, was die Expedition der Biologen entdecken mochte, auch sie in dieselbe Richtung zog; völlig naiv wäre der Gedanke, dass Madhusree – am untersten Ende der akademischen Hackordnung – ein ganzes Schiff voller Experten mit ihren eigenen Theorien und Plänen beeinflussen könnte.
Sie verließen den Hafen von Banda Neira am frühen Nachmittag und erreichten die erste der Inseln kurz vor Sonnenuntergang. Sie gingen hundert Meter vom Ufer entfernt vor Anker und verbrachten den Abend damit, sich zu erholen, indem sie sich Unterhaltungsprogramme aus dem Netz holten. Zu Prabirs Überraschung stellte sich heraus, dass Grant madagassische Musik genauso gerne wie er hörte und sich sogar noch besser mit den Esoterika auskannte. Nach einer Weile gab er es auf, sich in der Aufzählung von Interpreten und Titeln mit ihr messen zu
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