Terra Anchronos (German Edition)
aber getrost streichen. Ich denke, das lag an der jungen Dame hier.“ Er deutete auf Martha. „Sie hat dem guten Arne wohl ein wenig den Kopf verdreht.“
Arne merkte, wie er bei diesen Worten rot anlief.
Martha ging es nicht anders.
„Ansonsten“, fuhr der Lehrer fort, „haben Sie einen guten Jungen, Herr Kapitän.“
Arne merkte, wie sich der eiserne Griff des Vaters langsam lockerte.
„An seinen Leistungen gibt es nicht das Geringste auszusetzen. Arne arbeitet gut mit und stört den Unterricht nicht. Nur im Rechnen ist er nicht der Stärkste seiner Klasse.“
„So, so“, brummte Arnes Vater nur. Der Tadel war noch nicht ganz aus seinen Gedanken gewichen.
„Nehmen Sie Arne ruhig mit auf Reisen. Die Fahrt zur See wird ihn mehr lehren als eine Woche Unterricht und ein Aufenthalt im Landschulheim.“
Der Lehrer klopfte Arne auf die Schulter. „Viel Spaß, mein Junge. Und komm heil wieder.“
„Dafür werde ich schon sorgen. Und du, Arne? Ich warne dich. Noch einen Tadel, und es war deine letzte Seereise.“
Auf dem Flur des Schulgebäudes – der Kapitän eilte den Kindern mit großen Schritten voraus – blieb Martha plötzlich stehen. Sie sah Arne mit einem bezaubernden Lächeln an und zog den Jungen zu sich heran. Mit beiden Händen umfasste sie Arnes Kopf und drückte ihm einen herzhaften Kuss auf die Lippen.
„Danke“, flüsterte sie. Ihre Augen strahlten, wie Arne sie noch nie gesehen hatte. „Du bist mein Lebensretter.“
Als der Vater rief, wischte Arne sich verstohlen den Kuss von den Lippen. Stolz war er trotzdem.
Zur Überraschung der beiden Kinder fuhr der Kapitän nicht nach Hause, sondern hielt den Wagen vor der Polizeistation des Dorfes. Gleichzeitig dachten Arne und Martha an die Polizeiakte aus dem Jahre 1824. Das schlechte Gewissen hatte sie augenblicklich eingeholt. Zum Glück kam die verschwundene Akte jedoch nicht zur Sprache. Ihr Fehlen war bisher wohl niemandem aufgefallen. Paul Brodersen, der Dorfpolizist, öffnete die Tür.
„Herein, herein“, sagte er und hielt die Tür weit auf.
„Gibt es Neues in den Ermittlungen, Paul?“, fragte der Kapitän, nachdem er den Polizisten begrüßt hatte.
„Keine Spur. Alle Nachforschungen laufen ins Leere. Spricht denn das Mädchen inzwischen?“
Arnes Vater sah Martha an und schüttelte den Kopf.
„Wenig“, sagte er. „Ich glaube, sie hat die Erinnerung verloren.“
„Ein Jammer.“ Paul Brodersen schüttelte mitleidig den Kopf. „Was führt euch zu mir?“
Der Kapitän erklärte dem Polizisten das Vorhaben.
„Martha soll uns begleiten“, sagte er abschließend.
Paul Brodersen senkte den Kopf und schien angestrengt nachzudenken. Er sah von Martha zu Arne, dann zum Kapitän.
„Das wird nicht gehen. Es gibt Vorschriften. Martha kann bei euch wohnen, muss aber in der Nähe bleiben. Eine Reise ist undenkbar. Stellt euch vor, die Eltern des Mädchens melden sich. Da kann ich doch nicht sagen: Holen Sie das Kind in vier Wochen ab.“
„Marthas Eltern werden niemals ...“
Arne verspürte einen heftigen Schmerz in den Rippen. Martha hatte ihm einen Ellbogen in die Seite gestoßen. Ihr warnender Blick ließ Arne verstummen.
„Da kann man nichts machen?“, fragte Arnes Vater.
Paul Brodersen schüttelte den Kopf. „Tut mir leid.
Das Mädchen muss so lange bei mir bleiben.“
„Dann will ich auch nicht mit.“ Arne waren die Tränen in die Augen geschossen. Wütend stampfte er mit dem Fuß auf den Boden.
„Das reicht, Arne. Ich dulde dein Verhalten nicht.“
„Ich werde auf keinen Fall ohne Martha fahren“, schrie Arne außer sich.
Der Kapitän richtete sich zu seiner vollen, imposanten Größe auf.
„Glaubst du etwa, ich erbitte zwei schulfreie Wochen für dich, um am nächsten Tag alles rückgängig zu machen? Das sieht ja aus, als wüsste ich nicht, was ich will. Schluss mit der Diskussion. Du fährst mit und Martha bleibt hier.“
Abschied
Der Schock saß Arne und Martha tief in den Knochen. Fast eine Woche war seither vergangen.
Arne hatte es nicht mehr gewagt, den Versuch zu unternehmen, seinen Vater zu überreden. Die gemeinsame Reise war beschlossene Sache. Martha sei bei Paul Brodersen sicher gut untergebracht, hatte der Kapitän gemeint. Schließlich sei der Mann Polizist.
Dennoch hatte Arne die Hoffnung nicht aufgegeben, Martha doch noch zu der Reise an die Datumsgrenze zu verhelfen. Er wusste nur nicht wie. Selbst nicht am Tag vor der Abreise.
„Was ist das für ein Leben, wenn man
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