Terra Anchronos (German Edition)
gehen?“ Der Kapitän setzte sich wieder und schaute interessiert.
„Ganz einfach. Bringen Sie den Jungen zur Datumsgrenze und lassen ihn ins Wasser springen. Dann ziehen Sie ihn wieder heraus und das erste seiner beiden Probleme hat sich vielleicht von selbst erledigt.“
Arnes Vater schaute skeptisch. „Das soll funktionieren?“
„Es ist zumindest ein bewährter Therapieansatz. Die Erkenntnis, dass nicht das Erwartete eintritt, führt in der Regel zur Heilung. Und da Ihr Sohn unter Garantie nicht in dem ominösen Loch der Zeit verschwinden wird, stehen die Heilungschancen nicht schlecht.“
Schon auf dem Weg von Hamburg nach Bensersiel bemerkte der Kapitän eine deutliche Veränderung in Arnes Verhalten. Dem Jungen schien mit den Worten des Psychologen neuer Lebensmut eingeflößt worden zu sein. Keine Spur war mehr vom trübsinnigen Starren zu erkennen. Wach und fröhlich schaute der Junge auf die vorüberziehende Landschaft und fragte den Vater sogar, wann der sich denn vorstellen könne, die Reise zur Datumsgrenze anzutreten. Auch die Mutter sah ihrem Sohn sofort die Veränderung an. Als ihr Mann den Vorschlag des Psychologen erläuterte, war sie sofort einverstanden.
„Selbstverständlich will ich dabei sein, wenn du die Terra anchronos wieder durch dieses Loch in der Zeit betrittst.“
Zwar hatte Arne bei diesen Worten den vielsagenden Blick in Richtung des Vaters nicht gesehen. Doch allein der Tonfall ihrer Stimme sagte dem Jungen, dass auch sie seiner Geschichte immer noch keinen Glauben schenkte. Wenigstens tat seine Mutter aber so, als ob sie das Beste für ihren Sohn wünschte. Das rechnete Arne ihr hoch an. Der Psychologe hatte es nicht für nötig gehalten, seinen Spott im Beisein des Jungen zu verbergen. Der Vater hingegen hielt sich mit seiner Meinung vornehm zurück. Er hatte wohl Angst, etwas Falsches zu sagen.
Vor der Abreise hatte Arne al erdings noch einen überaus wichtigen Gang zu machen. In al den Monaten seit seiner Heimkehr war er nicht an Marthas Grabmal gewesen. Er musste aber sicher sein, dass es sich nicht als sinnlos erweisen würde, die Terra anchronos aufzusuchen und nach dem Verbleib seiner Freundin Martha zu forschen. Lebte sie noch? War sie von den Subtektonen des Reiches verwiesen worden? Auf diese Fragen sollte Marthas Grabmal die Antworten geben.
Auf die Begleitung der Eltern legte Arne bei diesem Gang keinen Wert. Es schien ihm sogar unklug, die Eltern mit der seltsamen Inschrift und dem Todesdatum des Mädchens, das sich auf mysteriöse Weise verändern konnte, in noch größere Verwirrung zu stürzen. Er selber war nämlich bei klarem Verstand.
Auch wenn ihm das, abgesehen von dem Astronomen Stewart, niemand glauben wollte.
Als Arne vom Friedhof nach Hause zurückkehrte, war er bester Dinge. Marthas Todestag war auf dem Grabstein einfach nicht zu lesen gewesen. Das konnte nur bedeuten, dass Martha lebte und sich immer noch in der Terra anchronos befand. Arne hatte auf dem ganzen Heimweg Luftsprünge gemacht.
Es gab aber noch mehr Neuigkeiten an diesem Tag.
Der Vater drückte seinem Sohn die neueste Ausgabe von „Astronomie heute“ in die Hand. Dazu gab er ihm einen Brief von Stewart.
Als Arne die in fetten Buchstaben gedruckte Überschrift der Zeitung gesehen hatte, rannte er wie der Blitz auf den Dachboden der alten Scheune und begann zu lesen.
„Sensation! – Wird der 29. Februar überflüssig?“
Der Verdacht
Arne hatte seinem Vater genau erklärt, auf welche Schwierigkeit Martha und er damals, während der Seereise zur Datumsgrenze, gestoßen waren. Dem Kapitän und erfahrenen Seemann leuchtete auch sofort ein, dass Marthas Schlussfolgerungen richtig gewesen waren. Die Datumsgrenze war in der Südsee nicht dort zu suchen, wo sie auf den Seekarten eingezeichnet war. Dabei handelte es sich um eine willkürliche, von Menschenhand gezogene Linie, die nichts weiter als ein Trick war, um Landesgrenzen nicht zu teilen. An dem Verlauf der wirklichen Datumsgrenze konnte diese Manipulation nichts ändern. Sie lag felsenfest auf dem 180. Längengrad.
Und der streifte die Fidschi-Inseln, nicht Samoa.
Daher buchte der Kapitän auch einen Flug, der sie zunächst nach Sydney in Australien bringen sollte.
Dann würde man in ein kleineres Flugzeug umsteigen und nach Suva fliegen, der Hauptstadt der Fidschi-Inseln.
So weit war alles geregelt. Kopfzerbrechen bereitete dem Jungen aber die weitere Fahrt zur Datumsgrenze, die ja nur über das Wasser zu erreichen
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