Terra Mater
weiten Kragen seines violetten Chorhemds hoch, bedeckte sein Gesicht und ging nach einem letzten Blick auf den Gevierteilten schnellen Schritts auf das Hauptportal des Tempels zu. Seine Gedankenschützer und die Interlisten folgten ihm, während der kirchliche Personenair startete und mit schrillem Pfeifen über die spitzen Türme davonflog.
Endlich wagten sich auch Passanten aus den angrenzenden Straßen hervor und überquerten hastig den Platz der Heiligen Folter.
Am Ende des Fluchttunnels zeichnete sich ein immer größer werdender grauer Lichtpunkt ab. Weil die Sauerstoffreserven schon längst verbraucht waren, hatten die Quarantäner ihre Masken abgenommen und weggeworfen. Jek tat es ihnen nach, froh, wieder frei atmen zu können, auch wenn es noch immer schwach nach Gas roch. Doch die Konzentration schien nicht mehr gefährlich zu sein.
Die hinter ihm gehende Frau hatte beim Anblick von Jeks glattem Gesicht, seinem seidigen gelockten Haar und seinen haselnussbraunen Augen überrascht gesagt: »Ein kleiner Oberirdischer!«
Sofort hatte er wütende Schreie hinter sich gehört, was kaum verwunderlich war, da die Oberirdischen für die Jahrhunderte andauernden Repressionen und den letzten Anschlag verantwortlich waren. Wieder hatten sie versucht, die Quarantäner, deren Anblick sie nicht ertragen konnten, auszulöschen.
Jek hatte Angst. Als einziger Oberirdischer wäre er ein naheliegendes Opfer für die Rache der wütenden und verzweifelten Quarantäner. Denn in diesem Stollen, ein paar Hundert Meter unter der Erde, galten Gesetze nicht mehr. Niemand würde ihm zu Hilfe kommen.
Doch das wütende Geschrei verebbte wieder, und der hoffnungslose Marsch wurde fortgesetzt. Schweigend. Doch Jek wusste, dass er nicht sicher war. Im Gegenteil. Nur eine einzige Bemerkung würde genügen, und die schwelende Glut des Hasses konnte sich in ein Inferno verwandeln. Er spürte ihre Blicke gleich vergifteten Pfeilen in seinem Rücken, bis er so müde wurde, dass er erschöpft und kraftlos die letzten Meter bis ans Ende des Ganges zurücklegte.
Trotz der grauen Trostlosigkeit des Tageslichts waren die Überlebenden geblendet, als sie das öde Hochplateau erreichten, die verseuchte Region. Ihr plötzliches Erscheinen scheuchte einen Schwarm Corvuren auf, große Vögel mit schwarzem Gefieder und phosphoreszierenden Schnäbeln. Hares’ rötliche Strahlen durchdrangen kaum den von Dunst verhangenen Himmel.
Jek ließ sich völlig erschöpft in das dürre, gelbe Gras fallen. So weit er auch blicken konnte, er sah nichts als eine monotone Ödnis, bar jeder Vegetation. Es gab weder Menschen noch Gebäude oder irgendeine Transportmöglichkeit. Nur Nebelfetzen, die von plötzlich aufkommenden
Winden hin und her getrieben wurden. Als ihm klar geworden war, dass er diese Wüste wahrscheinlich tagelang zu durchqueren hatte, überkam ihn eine große Mutlosigkeit.
Die Quarantäner saßen, in engen familiären Gruppen zusammengedrängt, in der Nähe des Ausgangs, am Rand eines felsigen Abgrunds. Sie waren verängstigt, weil die meisten von ihnen ihren Fuß zum ersten Mal auf die Erdoberfläche setzten. Einerseits waren sie erleichtert, entkommen zu sein, andererseits hatten sie Angst vor dem Exil und trauerten um ihre Angehörigen und Freunde, die den Tod unter der Erde gefunden hatten. Sie gingen einer ungewissen Zukunft entgegen.
Jek wurde von den Quarantänern geschnitten. Sie zeigten ihm, dass er in ihr Territorium eingedrungen war. Als er sich umdrehte, sah er in der Ferne die wellenförmige glitzernde Mauer, unendlich lang, bis zum Horizont reichend. Vor zwei Jahren hatte P’a At-Skin ihm die dreißig Kilometer nördlich von Anjor errichtete magnetische Isolationsbarriere gezeigt und ihm erklärt, sie reiche bis in die Stratosphäre, um zwischen den beiden Zonen jeden Flugverkehr unmöglich zu machen. Zusätzlich wurde diese Schutzvorrichtung noch durch einen elektrischen Stacheldrahtzaun und Wachtürme, die mit Robotern bestückt waren, verstärkt. Diese Roboter waren mit Schusswaffen ausgerüstet, die Todeswellen und Mumifizierungsstrahlen aussenden konnten.
Doch die damalige Regierung hatte nicht daran gedacht, dass die Überlebenden der verseuchten Zone dieses Hindernis durch unterirdische Wege umgehen könnten. Keine magnetische Mauer kann Ratten am Graben hindern, hatte der alte Artrarak gesagt. Inzwischen war sie modernisiert worden. Beim geringsten Kontakt mit ihren Schwingungen
verwandelte sich sogar ein
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