Terroir
bin der Weinstock, ihr seid meine Reben“ ( Johannes 15 , 5 ). Und heute noch sehen sich die Priester als „Arbeiter im Weinberg des Herrn“. Manchmal ganz profan: Die Unterrichtseinheit Weinherstellung ist immer noch Bestandteil der katholischen Missionarsausbildung. Aber auch auf tieferer Symbolebene ist der Wein nach wie vor im Christentum präsent. Bei der Feier des Abendmahls, dem „Hochzeitsmahl des Lammes“ ( Offenbarung 19 , 9 ), steht der Wein ganz wie im Altertum als Symbol für das Verschmelzen des Menschen mit dem Göttlichen.
Umrahmt werden diese Mysterien von unzähligen Statuen und Reliefs der schützenden Traubenmadonna – mythologisch eine Anknüpfung an die Große Mutter – und von vielen Weinheiligen, die in der Projektion mehr für das Handfeste zuständig sind.
„O heilger Urban, schaff uns Trost!
Gib heuer uns vielen edlen Most.“
„Wenn’s Jakobi regnet,
ist der Wein nicht sehr gesegnet.“
„Matthäus weint statt lacht,
er aus Wein gern Essig macht.“
„Kommt Sankt Michael und zeigt sich warm,
wird kein Bauer und kein Winzer arm.“
„Wer nicht tüchtig trinken kann,
der ist kein rechter Martensmann.“
Der moderne Mensch hat es, bei allen nach wie vor lebendigen Madonnen und Heiligen, einigermaßen geschafft, in der Abgrenzung zum Außen eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Das heißt nicht, dass er nicht auch immer wieder, ob in Krisensituationen oder aus heiterem Himmel, vom Numinosen, von seltsamen, unbekannten Stimmungen gepackt und aus der Bahn geworfen wird.
Religiöse Menschen haben damit normalerweise weniger Probleme, da für sie das Wort Gottes und die Verführung durch den Teufel Teil ihres Weltbildes sind. Ob sie das Göttliche oder das Sündhafte nun in sich selbst oder im Außen erfahren – es passt in ihre Welt und in die Dialektik von Erbsünde und Gnade. Im Gegensatz zu den Teilnehmern heiliger Dionysien würden es sich religiöse Menschen heute allerdings sehr verbitten, die Stimme Gottes mit Alkoholkonsum in Verbindung zu bringen.
Davon wollen auch die eher säkularen Zeitgenossen nichts wissen. Für sie – aufgeklärt und selbstbewusst – gibt es keine Geister, sondern nur einen Geist, und der sitzt im Kopf und hat die Sache unter Kontrolle. Und was dann an komischen Dingen in der Gedankenwelt passiert, kommt nicht von außen, sondern aus einem selbst und gehört entweder in die Rubrik Fehlschaltungen im Kortex oder frühkindliche Traumata. Wer tatsächlich meint, äußere Stimmen zu hören, ist entweder total besoffen oder ein Fall für die Klapsmühle. Wein zur Bewusstseinserweiterung – nein, danke. Zumindest theoretisch. Denn in der Praxis sind es gerade die freien Geister, die Intellektuellen, die immer wieder mit den Weingöttern anbandeln – äh, Entschuldigung: die sich für das Thema Wein brennend interessieren.
Warum ist nun im Altertum ausgerechnet dem Wein und weniger dem Bier oder dem Schnaps diese Mittleraufgabe zwischen Göttlichem und Menschlichem zugefallen? Auch hier gibt es noch keine detaillierte Forschung. Schnaps gab es nachweislich schon im altenMesopotamien. Da Destillationsapparate eine bestimmte Technologieentwicklung voraussetzen, erscheint er jedoch historisch zu jung, das heißt, ihn hat es in der heißen Phase der Bewusstseinsentwicklung noch gar nicht gegeben.
Beim Bier ist es komplizierter. Die moderne Definition von Wein als Getränk aus vergorenen Weintrauben ist für das Altertum nicht haltbar. Hier vergoren mit Sicherheit auch alle möglichen anderen Früchte. Und der gute Enkidu aus dem Gilgamensch-Epos könnte durchaus bei seiner Tempeldirne auch sieben Becher vergorenes Getreide, also ein Ur-Kölsch, oder irgendein mesopotamisches Mixgetränk getrunken haben.
Die eindeutige Zuordnung von Wein als heiligem Getränk scheint sich mit den Hochkulturen der Ägypter vollzogen zu haben. Da gehörte der (Trauben-)Wein den Priestern, und das Volk trank Bier. Seit dieser Zeit ist der Wein mythologisch-energetisch aufgeladen bis zum Anschlag. Er ist das göttliche Getränk an und für und außer sich. Während mythologisch ebenfalls bedeutende Nahrungsmittel wie Wasser, Milch und – verzeiht es mir, liebe Freunde von der Hopfenfront – letztlich und sprachlich konsequent auch das beruhigende, östrogenhaltige Bier in fast allen Sprachen entweder sächlichen oder weiblichen Geschlechts ist, ist der Wein überall männlich und so Symbol und Träger des Geschlechts des Geistes, der patriarchalen
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