Terroir
Mögliche denkt nur nicht an Zucker. Genauso wie man bei einem gereiften Nuits-St-Georges oder Chambolle-Musigny aus einem guten Weingut nicht an Holzfässer denkt, sondern sich in einem Ozean von Früchten und Gewürzen verliert. Und bei vielen anderen Weinen ist dies ähnlich. Aber sie müssen gut sein und sie müssen gereift sein. Beides sind Voraussetzungen, ohne die kein Klavierkonzert und keine wirkliche Sinfonie erklingen kann. Ein einfacher Wein, sei er nun süß, sauer, bitter oder alkoholisch, wird nie harmonisch klingen. Ein schlechter Weinberg wird nie das Potenzial haben, all diese geschmacklichen Basics zu vereinen und hinter einer komplexen Terroirexpression zurücktreten zu lassen. Im Gegenteil. Die Süße solcher Weine wird in aller Regel im Lauf der Zeit plumpund penetrant, die Säure wird immer grüner und aggressiver, die Tannine werden hart und ordinär und der Alkohol scharf und medizinal. Bis dann irgendwann diese Bestandteile wie auch immer chemisch miteinander reagieren und das Ganze von seltsamen unangenehmen Aromen überschattet auf dem organoleptischen Müllhaufen landet.
Wie an anderer Stelle schon ausgeführt, besteht die Kunst der Vinifikation eines Terroirweins darin, eine ausgewogene Relation der einzelnen Geschmackskomponenten sicherzustellen. Reife ist in diesem Falle stark mit Harmonie verknüpft und so zu definieren, dass alle Komponenten auf eine angenehme Art und Weise miteinander verwoben und nicht mehr getrennt schmeckbar sind. Ein Wein mit starkem Tanningerüst wird länger brauchen, ein Wein mit einer hohen Säure und Süße ebenfalls. Obwohl … zu einem Ziegenkäse, wenn die Süße und die Säure einen prickelnden Spannungsbogen zum Salz des Käses aufbauen: Und wer sagt eigentlich, dass es immer harmonisch zugehen muss?
Bei Weinen von François Cotat aus Sancerre zumindest hat man jedenfalls oft das Gefühl, in einem Steinbruch von staubigen Felsbrocken geradezu begraben zu werden. Ist der Mann Autist? Will er sich an seinen Kunden rächen? Nein, der Wein ist einfach so. So war er schon bei seinem Vater. Und so soll er auch bleiben. Und wer die Geduld aufbringt, die Weine reifen zu lassen, wird nach vielen Jahren belohnt. Hier ist es wie bei der Siebten Sinfonie von Schostakowitsch. Man muss sie oft, sehr oft hören, bevor die anfänglich den ganzen Körper erfassende Abwehrhaltung langsam der Neugierde weicht und man irgendwann mit der Musik in Resonanz geht.
Zu einem Bewunderer seiner Skulpturen soll Michelangelo einmal achselzuckend gesagt haben: „Ich habe ja nur die Hülle abgeschlagen und das Innere des Steins freigelegt.“ Was für eine innereHaltung! Und was für ein Gegensatz zum künstlerischen Ansatz des 19 . oder 20 . Jahrhunderts, zur bewussten Konstruktion von mit klaren Botschaften ausgestatteten Skulpturen, wie sie etwa der Hand August Rodins entsprungen sind! Die Hülle abschlagen ist für viele Terroirwinzer das wichtigste Leitmotiv. Welche Rebsorte, welche Erziehungsform, welche Vinifikation ist in der Lage, das „Innere“ des Weinbergs geschmacklich wahrnehmbar zu machen? Kein einfaches Unterfangen. Gerade in Deutschland, einem Land mit dem populistischsten Weingesetz von ganz Europa, in dem nicht nur mehr oder weniger alles erlaubt ist, was die Kellertechnik so hergibt, sondern auch im Weinberg fast alle Rebsorten angebaut werden dürfen. Und was die Weinberge angeht, so sind sie pseudodemokratisch vor dem Weingesetz alle gleich. Das deutsche Weingesetz kennt keine Eliten. Jeder Weinberg, jeder Winzer hat seine gesetzlich verbriefte Chance. Wenn der Wein hinterher auf dem Tisch steht, entscheidet die Kommission der Landwirtschaftkammer darüber, ob er so gut ist, dass er mit welcher Bezeichnung auch immer verkauft werden darf. Die gestrengen Prüfer sind geschult, sie wissen, was „fehlerfrei“ und „von ortsüblicher Beschaffenheit“ ist. Kleiner Seitenhieb: In den 50 er-Jahren wurden viele Weine abgelehnt, weil sie zu süß waren. In den 70 ern, weil zu sauer. Und heute schönen viele Winzer ihre Weine prophylaktisch mit (keine Angst, nicht giftig, ist ja nur im Milligrammbereich) Kupfer, damit die Nasen der Prüfer auch ja nicht durch irgendwelche wilden-hefigen-schwefligen Aromen provoziert werden und der Wein auch ja seine amtliche Prüfnummer bekommt, ohne die er nicht verkauft werden darf. Preisfrage: Wie reagiert ein Weinprüfer, der sein Leben lang neben verdorbenen Weinen immer nur abgeleckte Reinzuchthefenweine verkostet hat,
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