Terror auf Stiles Island
Jesse.
»Das wäre zu schön.«
Die unausgesprochene Spannung zwischen ihnen schlug Jesse zunehmend auf den Magen. Er fragte sich, ob es Jenn ähnlich erging. Es schien, als habe sie sich völlig unter Kontrolle. Sie sagten nichts. Sie standen nebeneinander, ohne sich zu berühren. Vom Tosen des Meeres abgesehen war die Stille so klar wie Kristall. Vielleicht ist das alles zu viel für mich, dachte Jesse. Vielleicht brauche ich einen Drink ? Zu seiner Linken wurde die Hafenausfahrt von Stiles Island verdeckt. Auf der Insel waren kaum Lichter auszumachen. Alles richtet sich zum Meer aus, dachte Jesse. Drehen der Stadt den Rücken zu . Er schaute nicht zu Jenn, fühlte ihre Anwesenheit aber, als würden die Gesetze der Schwerkraft an ihm zerren.
»Jesse«, sagte sie.
Er drehte sich zu ihr um und stellte fest, dass sie sich ebenfalls umgedreht hatte. Sie schaute zu ihm hoch. Zwischen dem Geruch des Meeres konnte er ansatzweise ihr Parfüm ausmachen. Er breitete die Arme aus und sie drückte sich an ihn. Er küsste sie. Sie öffnete ihre Lippen und küsste ihn zurück. Er spürte, wie sich seine Lungen mit Luft füllten, wie sein Blut durch die Verästelungen seiner Arterien und Venen schoss, wie Elektrizität seine Nerven und Muskeln kitzelte. Sie fingen an, sich gegenseitig die Kleider vom Körper zu reißen. Jenn löste sich aus der Umarmung, um mit Mühe »Wohnzimmer« zu keuchen, drückte aber gleich wieder ihre Lippen auf seine, als sie gemeinsam zum Wohnzimmer taumelten. Sie gingen auf dem Teppich zu Boden und fielen übereinander her. Die körperliche Lust übernahm die Kontrolle. Alle Geräusche, die sie von sich gaben, waren nur noch zusammenhangloses Gestammel. In der Mitte der Nacht, Stunden später, legten sie endlich eine Verschnaufpause ein, um in Jesses Schlafzimmer zu wechseln.
Jesse wachte im hellen Sonnenlicht auf. Er lag auf seinem Rücken, während Jenn – den Kopf auf seiner Brust – in seiner Armbeuge noch schlief. Er schaute auf seine Uhr. Sie war nicht an seinem Handgelenk. Er schaute auf den Wecker auf der Kommode. Es war 10 Uhr 40. Seit er an der Ostküste lebte, hatte er nach Morgengrauen praktisch nicht schlafen können. Genau genommen, ging es ihm durch den Kopf, hatte er morgens nicht mehr geschlafen, seit Jenn angefangen hatte, mit diesem Elliot Wie-hieß-er-doch-noch ins Bett zu steigen. Vielleicht hätte er Elliot einfach umbringen sollen. Er bedauertenoch immer, dass er das versäumt hatte. Er war sich nicht sicher, ob er sich wirklich dazu hätte durchringen können. Er hatte bereits Menschen erschossen und würde es vermutlich auch in Zukunft tun. Aber sich einfach vor jemandem aufzubauen und abzudrücken? Wenn er’s getan hätte, würde er mit Sicherheit nicht hier im Bett liegen, mit einer nackten Jenn in seinem Arm, während die Sonne durchs Fenster schien. Es war schon richtig gewesen, ihn nicht zu erschießen … aber er wusste – und musste im Stillen über dieses Wissen lächeln –, dass es irgendwo in seinem Herzen eine Faser gab, die seine Entscheidung bedauerte. Die Möwen waren laut. Der Geruch des Hafens geradezu greifbar. Die Terrassentür war noch immer geöffnet.
Ohne ihre Augen zu öffnen, sagte Jenn: »Mach nicht mehr draus, als es ist.«
»Okay«, sagte Jesse.
»Es bedeutet nicht, dass wir zusammenziehen oder monogam sein sollten oder heiraten oder irgendwas in der Art.«
»Genau«, sagte Jesse.
»Es bedeutet nur, dass wir uns mögen, vielleicht auch lieben, und uns sicher wieder treffen werden. Und dass wir erwachsene Menschen sind.«
»Korrekt.«
Jenn schaute ihn mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck an. Es war der gleiche Ausdruck, den Jesse bemerkt hatte, als sie von der Wetterfee fürs Wochenende sprach.
»Und«, sagte Jenn, »erwachsene Menschen ficken nun mal.«
»Seit Menschengedenken«, sagte Jesse.
Sie lagen für eine Weile still im Bett, ihr Kopf auf seiner Brust, sein Arm um ihre Schulter, bis Jenn ihre Beine aus dem Bett schwang und aufstand.
Ihre Haare waren verwuselt, das Make-up völlig verschmiert. Nackt ging sie aus dem Schlafzimmer und folgte der Spur der verstreuten Kleidungsstücke zur Veranda.
»Junge, Junge«, sagte sie. »Was um alles in der Welt ist hier bloß passiert?«
»Weiter nichts Schlimmes«, sagte Jesse.
»Nein«, sagte Jenn, »Schlimmes sicher nicht.«
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»Harry Smith«, sagte Macklin, als er in
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