Terror auf Stiles Island
einmal tief durch und stieg ins Auto. Sie hatte kein Blaulicht, aber da die Stadt völlig ausgestorben war, kam sie schnell durch. Langsam fuhr sie an Abbys Straße vorbei und schaute hinunter. Nichts Ungewöhnliches zu sehen, auch kein Auto, das vor Abbys Haus parkte. Sie fuhr langsam um den Block und näherte sich Abbys Straße von der anderen Seite. Auch hier war alles ruhig. Sie sah einen dunkelgrünen Mercedes an der Ecke, was aber in Paradise nicht weiter ungewöhnlich war. Sie parkte auf der Straße hinter Abbys Haus und versuchte, ihre Nerven in den Griff zu bekommen. Sie entspannte ihre Bauchmuskeln, atmete tief durch, ließ ihre Schultern durchhängen und schloss für eine Minute die Augen.
Okay, okay. Du bist ein Cop – genau wie die anderen auch. Du hast immer gewusst, dass du eines Tages in diese Situation geraten würdest. Ärgerlich ist nur, dass du immer felsenfest davon überzeugt warst, nicht mutterseelenallein in diese Situation zu stolpern.
Molly schüttelte den Kopf, als wolle sie ihre Selbstzweifel verjagen. Sie stieg aus dem Auto, schloss die Tür und steckte die Schlüssel in ihre Tasche. Der Gürtel mit dem Revolver schien so schwer, dass sie ihn einStück höher zog. Sie hatte das Funkgerät am Gürtel, eine Dose Pfefferspray, Handschellen und zwei weitere Magazine für ihren Revolver. Die Öse für die Taschenlampe war leer. Sie hatte auch keinen Knüppel, sondern nur einen kleinen ledernen Schlagstock in ihrer rechten Gesäßtasche. Aus dem Kofferraum ihres Hondas holte sie noch die Fahrstange des Wagenhebers und behielt sie in der linken Hand.
Okay , dachte sie noch einmal. Okay.
Sie ging geräuschlos durch den Garten eines kleinen Schindeldach-Hauses mit spitzen Mansardenfenstern, ging hinter der separaten Garage in Deckung und spähte vorsichtig in Abbys Garten. Sie verfluchte sich, nicht vorher ihre Uniform abgelegt zu haben: Sie fühlte sich wie eine Nudistin im Freibad. Aus Abbys Haus war kein Laut zu hören. Die Jalousien im ersten Stock waren heruntergelassen. Möglicherweise hatte die Anruferin inzwischen Abby an einen anderen Ort geschafft. Doch mitten in einer belebten Nachbarschaft eine Person zu kidnappen und zu verschleppen, schien sehr riskant. Andererseits war es nicht minder riskant, im Haus des Opfers zu bleiben. Vielen Leuten war allerdings gar nicht bewusst, dass sich mit Hilfe der Anruferkennung die Adresse rückverfolgen ließ. Vielleicht glaubte die Anruferin ja auch, dass sie durch die Existenz ihrer Geisel geschützt sei. Oder dass das Versteck so offensichtlich sei, dass niemand auf die naheliegende Idee kommen würde. Vielleicht war die Anruferin einfach nur dumm. Oder verzweifelt. Vielleicht war alles auch nur ein schlechter Scherz. Vielleicht war Abby ja bei der Arbeit und wusste von nichts. Sie hätte vorher versuchensollen, Abby in ihrem Büro anzurufen, aber sie wusste nicht, wo Abby arbeitete – und hatte auch niemanden, den sie fragen konnte. Außerdem hatten sich die Ereignisse so überschlagen, dass sie sich nun plötzlich hier an der Garage wiederfand und in Abbys Garten starrte.
Das Haus war an einem leichten Hang gebaut und besaß unter dem Erdgeschoss ein Souterrain, zu dem eine Kellertür führte. An beiden Seiten der Tür befand sich ein kleines Fenster. Von der Garage bis zur Tür gab es keine Möglichkeit, hinter Büschen in Deckung zu gehen, allerdings waren höchstens sieben Meter zu überwinden. Ranpirschen geht also nicht , dachte Molly. Wenn ich selbst der Geiselnehmer wäre, würde ich im Haus von Fenster zu Fenster gehen, um nach der Polizei Ausschau zu halten. Meine Chancen stehen also vier zu eins, dass sie gerade aus dem falschen Fenster schaut. Entweder ich hab Glück oder nicht. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Es war eine Situation, in der man normalerweise über Funk um Verstärkung bitten würde. Aber heute gab es keine Verstärkung. Sie atmete noch einmal tief ein und aus und sprintete zu der Tür. Niemand schoss auf sie. Nichts passierte. Sie hockte sich an die Kellerwand und war ziemlich sicher, dass man sie aus dem Haus nicht sehen konnte.
Vorsichtig bewegte sie sich unter dem Kellerfenster zur Tür. Verschlossen. Sie schaute sich die beiden Fenster an. Das linke war verriegelt – sie konnte den Schließhaken deutlich erkennen. Am rechten Fenster fehlte der Haken. Sie drückte gegen eine der Fensterstreben, doch nichts rührte sich. Sie schob das flache Ende ihres Wagenhebers unters Fenster und drückte die
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