Terror der Tongs
meine, ob es nur um diesen Rauschgift-Fall ging. Oder sind Sie da auch in etwas anderes hineingeraten. Sie wissen doch als Inderin, welche Sekten und Geheimbünde es gibt…«
Sie unterbrach mich, indem sie die Hand hob. »Ja, wo Sie es erwähnen, fällt es mir wieder ein. Das in Indien waren an sich keine richtigen Gangster wie hier in London.« Sie hob die Schultern, weil sie keinen passenden Ausdruck fand. »Ich hatte immer das Gefühl, daß es Mal mit religiösen Fanatikern zu tun hatte, die nebenbei dealten.«
»Sind Namen gefallen?«
»Die Mitglieder der Banden kannte ich nicht. Aber Namen sind schon gefallen.« Sie lächelte plötzlich. »Ich erinnere mich eines Mannes, der uns einmal im Hotel besucht hat. Damals wohnte ich noch nicht mit Mal zusammen. Er war eine imposante Erscheinung. Groß, kräftig, ein Bilderbuch-Inder, der in jeden Film gepaßt hätte. Er kam, um meinem Freund einige Ratschläge zu erteilen.«
»Erinnern Sie sich noch an den Namen?« fragte ich.
»Den vergesse ich nicht.« Saris Augen begannen zu strahlen. »Er hieß Mandra Korab.«
»Das habe ich mir gedacht.«
Ihre Augen weiteten sich. »Wieso? Kannten Sie ihn?«
»Er ist ein Freund von mir.«
»Das ist etwas anderes.«
»Und Mandra hat Ihnen geholfen?«
»Nicht direkt«, sagte sie. »Aber er gab uns oder vielmehr Malcolm Tips.«
»Über die Malcolm sicherlich mit Ihnen gesprochen hat.«
»Über die Rauschgift-Gang?«
»Auch.« Sie nickte heftig. »Aber da war noch etwas, das wir nicht außer acht lassen sollten. Ich habe damals gewarnt, später aber nicht mehr daran gedacht, doch jetzt fällt es mir wieder ein.« Sie holte noch einmal Luft. »Mandra Korab sprach einige Male von Kali, der Todesgöttin…«
***
Der Speicher war eigentlich viel zu klein, um als solcher zu gelten. Nur ein Kind konnte dort aufrecht stehen, und der alte Mann, der dort oben seinen Taubenstall hatte, mußte gebückt stehen, wenn er sich mit den Tieren beschäftigte.
Josh lebte seit seiner Geburt in diesem Viertel um die Portobello Road. Er hatte vieles erlebt, den Ersten Weltkrieg als Kind, den Zweiten an der Front auf dem Festland. Und als »Erinnerung« hatte er ein steifes linkes Bein.
Nach dem Krieg war er schmählich abgefunden worden, später war auch nie Zeit für Helden gewesen. Es ging ihm immer schlechter, bis die jungen, so verrückt gekleideten Leute kamen und ihn, den Alten, einfach in ihre Mitte nahmen.
Sie kümmerten sich um ihn. Er bekam auch wieder ein richtiges Zimmer, und sie erfüllten ihm den alten Traum, die Taubenzucht. Natürlich profitierten sie auch von Josh. Oft genug saßen sie des Abends zusammen und lauschten seinen Erzählungen, die er aus einem reichen Erfahrungschatz zum besten gab.
Dreimal pro Tag besuchte er seine Tauben. Am Morgen, am Nachmittag und schließlich bei Einbruch der Dunkelheit. Die Tiere kannten ihn. Wenn er kam, war der Speicher von ihrem Gurren erfüllt. Sie begrüßten ihn eben auf ihre Art und Weise, und der alte Josh freute sich immer mit. Auch an diesem Nachmittag war er wieder bei seinen Tauben. Er hatte Futter mit hochgenommen und streute es von oben her — ähnlich wie bei der Fischfütterung in einem Aquarium — in die Käfige hinein. Dabei redete er mit seinen Tieren und bemerkte auch ihre Unruhe.
»Nein, nein, meine kleinen Freunde. Ihr kommt nicht raus. Erst wieder, wenn ich sicher bin, daß es nicht schneit. Es ist zu kalt. Auch für mich ist es das.« Der alte Josh nickte, zog seine enge Strickjacke noch fester und schob die Hand durch seinen Bart.
Fünf Tauben besaß er. Auf alle war er gleichermaßen stolz. Er klappte die Käfige an ihren Oberteilen wieder zu, ging zurück und schrie kurz auf, als er gepackt und nach hinten gerissen wurde. Im nächsten Moment erstickte sein Schrei, denn eine Hand legte sich auf seinen Mund. Eine zweite umklammerte seine Schulter, wirbelte ihn herum und stieß ihn von sich.
Wie ein müder Vogel flattert, so taumelte der alte Mann über den Speicher. Ein Deckenbalken stoppte seinen Lauf, und Sterne blitzten vor den Augen des Alten auf. Er riß sich aber noch einmal zusammen. Sein Blick fiel auf die furchtbare Gestalt. Er sah nur das Gesicht, den Mund mit dem breiten Messer darin, und er schaute in die Augen, in denen kleine, weiße Totenköpfe leuchteten.
Dann erwischte es ihn.
In den Knien wurde er schwach, drehte sich dem Boden entgegen und blieb liegen. Aus einer Kopfwunde sickerte Blut und verteilte sich zwischen seinen grauen
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