Terror von Rechts
die Wirtschaft diskreditiert.« Generell würden, so Roth, »immer wieder Entscheidungszwänge suggeriert, die dann nur noch exekutiert werden können, anstatt einmal über diese vermeintlichen Zwänge – etwa durch die Finanzmärkte – selbst öffentlich zu diskutieren und abzustimmen«. 99
Wer die Demokratie auf den Parlamentarismus und die Parteien reduziert, Entscheidungen als alternativlos verkauft, tut der Entwicklung der Gesellschaft keinen Gefallen. Denn Demokratie bedeutet auch, sich selbst politisch zu äußern – und dies muss eben nicht in einer Partei sein, sondern kann überall geschehen. Auch wenn das den Parteien möglicherweise nicht unbedingt passt.
Aber die Möglichkeiten zur Beteiligung werden teilweise noch verringert. »Ein Beispiel dafür ist die zunächst gescheiterte Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern«, erklärt Roland Roth. »Die neuen Kreise sind nach Verwaltungsrationalität und nicht nach Beteiligungsmöglichkeiten aufgebaut. Sie sind so groß, dass auch Partizipation drastisch erschwert ist. Dies begünstigt folgende Entwicklung: Die Politik wandert ab, kümmert sich nicht und die Ortsbürger machen die Erfahrung, dass sie selbst nichts mehr zu sagen haben. Die regionalen Wahlerfolge der NPD in Mecklenburg-Vorpommern zeigen aber, dass auch in vernachlässigten Regionen Politik gemacht werden kann. Die NPD inszeniert sich zum Beispiel als ›Kümmerer‹ und baut eine eigene Jugendkultur auf. Warum können die anderen Parteien das nicht? Sicherlich mit anderen Zielen und in anderer Form als die NPD. Die finanziellen Mittel haben sie. Sie müssen aktiv auftreten und Politik machen. Dafür gibt es sicherlich kein Zauberrezept. Dagegensein allein reicht nicht, vielmehr braucht es Perspektiven für die Menschen. Mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort muss gemeinsam über die regionale Entwicklung nachgedacht werden. Das wäre ein erster demokratischer Impuls.« Doch derzeit scheine, meint Roth weiter, »der einzige Akt der Selbstbestimmung im ländlichen Raum am ehesten noch die Entscheidung zum Umzug in eine große Stadt zu sein. Das Gegenteil von dem, was heute passiert, müsste eigentlich getan werden. Nicht aufgrund sinkender Bevölkerungszahlen Bildungs- und Kultureinrichtungen schließen, sondern umkehrt. Noch mehr aufbauen. Das hört sich utopisch an, aber Politik muss nicht immer trendverstärkend sein.« Konkret bedeutet das: Bund und Länder brauchen ein schlüssiges Konzept, wie geradezu entvölkerte Provinzen wieder mit demokratischem Leben erfüllt werden können. Das heißt, in die Gesellschaft zu investieren, um Vielfalt zu fördern, statt das öffentliche Leben kaputtzusparen und so Monokulturen zu züchten.
»Wir brauchen mehr Unruhe«, fordert der Wissenschaftler Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld. Recht hat er – und zwar nicht nur auf Ostdeutschland bezogen. Nicht alles ist Gold, was aus nicht-rechten Subkulturen kommt, aber zunächst sollten alle Akteure respektvoll und offen miteinander umgehen. Wer erst einmal die Extremismustheorie auspackt, um einen Diskurs der Ausgrenzung zu fahren und Menschen, die eigene Ideen haben, als Extremisten (gleichbedeutend mit Bösewichten) abstempelt, spielt den Neonazis in die Hände. Denn die sind überall dort stark, wo es wenig Alternativen gibt. Familienministerin Kristina Schröder hat in beachtlich kurzer Zeit viel Unheil angerichtet, Vertrauen zerstört, gewachsene Strukturen zerschlagen – aus ideologischen Gründen. Bereits 2007 äußerte sie sich zum Thema Extremismusklausel und kündigte an, was nun Realität ist: In Bezug auf die Programme gegen Rechtsextremismus sagte sie, »alle Projekte gehören auf den Prüfstand. Nicht alles, das gutgemeint ist, ist gutgemacht«. Es gebe ein Sparpotential bei den Projekten. Rechtsradikale Kreise freuen sich seit der Einführung über die Extremismusklausel und fühlen sich bestätigt in den seit Jahren vorgetragenen diffusen Anschuldigungen, so gut wie jeder, der sich gegen Neonazis engagiere, sei ohnehin ein verkappter linker Gewalttäter. In Kreisen, in denen das Grundgesetz gern als Diktat der Siegermächte bezeichnet wird, gibt man sich staatstragend. Kein Wunder, die Extremismus-Agenda spielt den Rechtsradikalen in die Karten, denn nicht weniger als die Deutungshoheit winkt, da die Projekte sowie deren Partner nicht »den Anschein erwecken« dürfen, extremistisch zu sein. »Nicht den Anschein erwecken« – jedes kritische Wort, welches
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