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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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mehr. Hickey wusste, dass es nicht als Räuber kam, sondern als Huldiger. Das Geschöpf war Ihm nicht mehr ebenbürtig. Mit einer einzigen Handbewegung konnte Cornelius Hickey es vernichten oder es in die fernsten Gefilde des Universums verbannen.
    Es näherte sich nun rasch. Manchmal trabte es auf allen vieren,
doch meistens ging es auf zwei Beinen wie ein Mensch und zugleich völlig anders.
    Eine seltsame Unruhe drang in Hickeys kosmischen Frieden ein.
    Kurz verlor er das Wesen aus den Augen, als es dicht bei der Pinasse und dem Schlitten angelangt war. Hickey hörte, wie es bei der Persenning herumschlich, wie es mit langen Klauen die gefrorenen Leichen belästigte, wie es mit messergroßen Zähnen klapperte, wie es prustend die Luft ausstieß. Aber er konnte es nicht sehen. Er merkte mit einem Mal, dass er zu viel Angst hatte, um den Kopf zu wenden.
    Lieber blickte er geradeaus in die leeren Augenhöhlen seines Gefährten Magnus.
    Plötzlich schob sich der Oberkörper des Wesens sechs Fuß hoch über das Dollbord hinaus, das selbst schon acht Fuß über dem Boden lag.
    Hickey stockte der Atem.
    Dank seines geschärften Sehvermögens erschien ihm das Ungeheuer im Sternenlicht schrecklicher denn je zuvor, schrecklicher, als er es sich hätte vorstellen können. Nicht nur Cornelius Hickey hatte eine wundersame Verwandlung durchgemacht, sondern auch das Geschöpf.
    Mit seinem mächtigen Oberkörper beugte es sich über das Dollbord, blies einen Dunst aus Eiskristallen in die Luft zwischen Hickey und dem Bug, und der Kalfaterersmaat atmete den Aasgeruch eines tausend Jahrhunderte alten Schnitters ein.
    Hickey wäre auf die Knie gesunken und hätte das Wesen angebetet, wenn er dazu fähig gewesen wäre, aber er war buchstäblich festgefroren. Selbst den Kopf konnte er nicht mehr drehen.
    Das Geschöpf schnupperte an Magnus Mansons Leiche. Immer wieder kehrte die unfassbar lange Schnauze zu der Eiskaskade aus braunem Blut zurück. Sanft leckte es mit seiner riesigen
Zunge daran. Hickey fühlte den Drang, dem Wesen zu erklären, dass dies der Leichnam seines geliebten Gemahls war, der erhalten bleiben musste, damit Er – nicht der Kalfaterersmaat, sondern Er, der er geworden war – seinem Geliebten die Augen wieder einsetzen und ihn eines Tages auferstehen lassen konnte.
    Doch schon im nächsten Augenblick biss das Wesen ebenso unvermittelt wie beiläufig Magnus den Kopf ab.
    Das Knirschen war so fürchterlich, dass sich Hickey die Ohren bedeckt hätte, wenn er die Hände noch von den Dollborden hätte lösen können.
    Mit einem weiß bepelzten Unterarm, der dicker war als Magnus’ kräftige Oberschenkel, holte das Geschöpf aus und schlug dem Toten mit solcher Heftigkeit die Brust ein, dass die Rippen und das Rückgrat in einem Schauer weißer Knochenscherben auseinanderspritzten. Hickey erkannte, dass das Wesen Magnus nicht die Knochen gebrochen hatte, so wie es Magnus bei so vielen geringeren Männern getan hatte. Nein, es hatte Magnus zertrümmert wie eine Flasche oder eine Porzellanfigur.
    Es sucht nach einer Seele, um sie zu verschlingen. Hickey hatte keine Ahnung, woher dieser Gedanke gekommen war.
    Da sich sein Kopf keinen Zoll mehr bewegen ließ, musste der Kalfaterersmaat mit ansehen, wie das Wesen aus dem Eis Magnus Manson vollkommen ausweidete. Knirschend zermalmte es die Innereien mit den langen Zähnen, so wie Hickey vielleicht ein Stück von einem Eiszapfen gekaut hätte. Dann riss das Ungeheuer das gefrorene Fleisch von Magnus’ gefrorenen Knochen und verstreute diese im Bug der Pinasse, nachdem es ihnen das Mark herausgesaugt hatte.
    Der Wind frischte wieder auf und erzeugte Musik, während er die Pinasse und den Schlitten umbrauste. Eine wahnsinnige Gottheit aus der Hölle, die in ihren weißen Pelz gekleidet auf einer Beinflöte spielte.
    Und dann kam das Wesen zu ihm.

    Zuerst ließ es sich auf alle viere sinken und verschwand, und das war in gewisser Weise noch furchtbarer als sein Anblick. Doch dann wuchs es mit der jähen Aufwärtsbewegung eines hochschießenden Pressrückens über das Dollbord und füllte Hickeys gesamtes Gesichtsfeld. Seine schwarzen, unverwandt starrenden, gefühllosen Augen waren nur wenige Zoll von Hickeys Kopf entfernt. Sein heißer Brodem schlug ihm ins Gesicht.
    »Oh«, machte Cornelius Hickey.
    Es war das letzte Wort, das ihm jemals über die Lippen kam, aber eigentlich war es weniger ein Wort, als vielmehr ein langes, entsetztes, sprachloses Hauchen. Hickey spürte,

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