Terror
ist kein Schneehaus, wie es ihm John Irving damals beschrieben hat, sondern eine Art Zelt aus Tierhäuten, die über gebogene Stöcke oder
Knochen gespannt sind. Flackerndes Licht aus mehreren Öllampen fällt auf den nackten Oberkörper des Mädchens. Crozier senkt den Blick auf seine Brust, seinen Bauch und seine Arme. Alles ist zerrissen und blutet. Anscheinend hat sie vor, ihn in kleine Stücke zu hacken.
Crozier versucht zu schreien, doch wieder muss er einsehen, dass er zu schwach dazu ist. Er will ihren Folterarm, ihre Messerhand wegschlagen, ist aber nicht einmal imstande, einen Finger zu heben.
Ihre braunen Augen starren in die seinen und nehmen zur Kenntnis, dass er noch lebt. Dann betrachtet sie wieder den Schaden, den sie mit den Stichen und Schnitten ihres Messers anrichtet.
Crozier bringt nur ein mattes Stöhnen hervor. Und stürzt wieder hinab in die Dunkelheit. Aber nicht zurück in das Traumlauschen und das angenehme Nichtselbst, an das er sich schon kaum mehr erinnert, sondern in ein Meer aus schwarzen Wogen des Schmerzes.
Aus einer leeren Goldner-Büchse, die sie wohl von der Terror gestohlen hat, flößt sie ihm eine Art Brühe ein. Es schmeckt nach dem Blut eines Meerestiers. Dann schneidet sie Robbenfleisch und Speck in Streifen. Dazu führt sie ihr merkwürdig gebogenes Messer mit Elfenbeingriff gefährlich nahe an den Mund heran. Schließlich kaut sie die Stücke gut durch und schiebt sie Crozier zwischen die aufgesprungenen Lippen. Er versucht, die Brocken auszuspucken, weil er nicht gefüttert werden will wie ein Vogeljunges, aber sie hebt die fettigen Klumpen auf und steckt sie ihm wieder in den Mund. Er hat ihr nichts entgegenzusetzen, also kaut er und schluckt das Zeug hinunter.
Dann wiegt ihn der heulende Wind wieder in den Schlaf, doch bald erwacht er erneut. Er merkt, dass er nackt zwischen
Pelzdecken liegt. Seine vielen Kleiderschichten sind nirgends in dem kleinen Zelt zu sehen. Jetzt hat sie ihn auf den Bauch gedreht und eine glatte Robbenhaut unter ihn geschoben, damit das Blut aus seiner aufgerissenen Brust nicht die weichen Felle auf dem Zeltboden beschmutzt. Mit einer langen, geraden Klinge gräbt und bohrt sie an seinem Rücken herum.
Zu schwach, um sich zu wehren oder sich wegzuwälzen, kann er nur ein leises Stöhnen von sich geben. Crozier ringt mit der Vorstellung, dass sie ihn in kleine Teile zerstückelt und diese dann kocht und isst. Er spürt, wie sie etwas Feuchtes, Schleimiges auf die vielen Wunden an seinem Rücken drückt.
Irgendwann während der Folter versinkt er wieder in Schlaf.
Meine Männer!
Erst nach mehreren Tagen voller Schmerzen, in denen er immer wieder aus dem Wachzustand zurück in die Bewusstlosigkeit gleitet und glaubt, von Silence zerfleischt zu werden, erinnert sich Crozier, dass auf ihn geschossen wurde.
Als er erwacht, ist es dunkel im Zelt. Nur ein schwaches Licht vom Mond oder von den Sternen dringt durch die straff gespannten Häute. Neben ihm schläft die Eskimofrau und genießt seine Körperwärme, so wie er die ihre genießt. Sie ist ebenso nackt wie er. Crozier spürt nicht die geringste Regung von körperlicher Leidenschaft, nur sein kreatürliches Bedürfnis nach Wärme. Für alles andere sind die Schmerzen zu stark.
Meine Männer … Ich muss zurück zu meinen Männern und sie warnen!
Zum ersten Mal erinnert er sich wieder an Hickey, an den Vollmond, an die Schüsse.
Croziers Arm ruht auf seinem Bauch. Mühsam schiebt er die Hand nach oben, wo ihn die Schrotladung an Brust und Schultern getroffen hat. Die linke Seite ist mit Rissen und Wunden
übersät, aber anscheinend wurden alle Schrotkörner und Kleiderfetzen sorgfältig entfernt. Auf den größeren Wunden liegt etwas Weiches wie feuchtes Moos oder Seegras. Crozier verspürt den Drang, sich das Zeug herunterzureißen, aber ihm fehlt die Kraft dazu.
Im oberen Rücken hat er noch stärkere Schmerzen als in der Brust. Crozier erinnert sich an die Qualen, als ihm Silence das Messer hineingebohrt hat. Er erinnert sich jetzt auch an das schmatzende Geräusch, das die Flinte von sich gab, als Hickey auf den Abzug drückte. Offensichtlich war das Pulver alt und feucht, und beide Schüsse wurden nicht mit der vollen Sprengkraft abgefeuert. Und dann erinnert er sich an den Aufprall des Schrothagels, der ihn aufs Eis schleuderte. Zuerst der Treffer von hinten, dann der von vorn.
Hat das Eskimomädchen jedes einzelne Schrotkorn herausgekratzt? Und jeden
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