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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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zuerst Torrington und Hartnell Anfang Januar, dann der Seesoldat William Braine am 3. April –, die allesamt an Schwindsucht und Lungenentzündung gestorben waren, hatte ihn schockiert. Franklin wusste von keiner einzigen anderen Expedition der Royal Navy, die so früh schon durch natürliche Todesursachen drei Männer verloren hatte.
    Er selbst hatte die Inschrift auf der Grabtafel des zweiunddreißigjährigen Gefreiten Braine ausgesucht: »Erwählet euch heute, wem ihr dienen wollt« – Josua XXIV, 15. Eine Weile schienen
die Worte mehr als eine Herausforderung an die unglücklichen Mannschaften der Erebus und der Terror gedacht, die zwar noch nicht kurz vor der Meuterei standen, aber auch nicht mehr allzu weit von ihr entfernt waren, denn als Nachricht an einen nicht vorhandenen Betrachter der drei einsamen Gräber auf diesem schrecklichen Flecken aus Geröll und Eis.
    Nach Hartnells Tod hatten sich die vier Ärzte besprochen und waren zu dem Schluss gelangt, dass die Konstitution der Männer vielleicht schon durch beginnenden Skorbut geschwächt und damit einer tödlichen Gefahr durch Lungenentzündung und angeborene Gebrechen wie Schwindsucht ausgesetzt war. Daraufhin rieten Stanley, Goodsir, Peddie und MacDonald Sir John zu einer Umstellung der Mannschaftskost: Fortan sollten möglichst frische Lebensmittel auf den Tisch kommen. Allerdings ließ sich mitten im Winter kaum etwas anderes finden als Eisbären, und sie hatten bereits festgestellt, dass der Verzehr der Leber dieses großen, schwerfälligen Tiers aus unbekannten Gründen ungesund war. Wenn demnach weder frisches Fleisch noch Gemüse zu haben waren, sollte zumindest die Zuteilung des bei den Männern so beliebten Salzfleischs, ob Schwein, Rind oder Geflügel, gekürzt und dafür mehr Büchsennahrung wie etwa Gemüsesuppen und Ähnliches serviert werden.
    Der ärztlichen Empfehlung folgend, erteilte Sir John Befehl, die Kost auf beiden Schiffen so zu verändern, dass nicht weniger als die Hälfte der Mahlzeiten mit konservierten Lebensmitteln aus dem Schiffsbestand zubereitet wurden. Diese Maßnahme schien sich zu bewähren. Niemand starb mehr, und es gab auch keine ernsthaften Erkrankungen zwischen dem Tod des Gefreiten Braine Anfang April und jenem Tag im späten Mai 1846, an dem die beiden Schiffe endlich aus ihrer eisigen Gefangenschaft vor der Beechey-Insel freikamen.
    Danach brach das Eis schnell auseinander, und Franklin nahm den Weg durch die Fahrrinnen, die seine zwei hervorragenden
Eislotsen ausgesucht hatten. Unter Segeln und mit Maschinenkraft ging es nach Süden und Westen, dass es nur so rauchte und dampfte, wie die Kapitäne aus Sir Johns Generation zu sagen pflegten.
    Zusammen mit dem Sonnenlicht und dem offenen Wasser kehrten nun auch Vögel und Fische in großer Fülle zurück. An diesen langen, trägen arktischen Sommertagen, wenn die Sonne fast bis Mitternacht am Horizont blieb und die Temperatur manchmal sogar über den Gefrierpunkt stieg, wimmelte es am Himmel nur so von Zugvögeln. Franklin bereitete es Vergnügen, die Sturmschwalben und Krickenten, die Eiderenten, die kleinen Krabbentaucher und die lebhaften Papageientaucher voneinander zu unterscheiden. In den immer breiter werdenden Fahrstraßen um die Erebus und die Terror tummelten sich Glattwale, um die sie jeder amerikanische Walfänger beneidet hätte, und in allen Richtungen erblickten sie Dorsche, Heringe und andere kleine Fische sowie große Weiß- und Grönlandwale. Die Männer ließen die Walboote zu Wasser, um zu fischen, und erlegten oft nur zum Zeitvertreib einen kleinen Wal.
    Jeden Abend kamen die Jagdtrupps mit frischem Wild für die Tafel zurück – Geflügel natürlich, aber auch diese durchtriebenen Ringel- und Sattelrobben, die auf dem offenen Eis ein leichtes Ziel boten, im Winter jedoch in ihren Löchern nicht zu fangen und zu erlegen waren. Der Geschmack des Robbenfleischs behagte den Männern nicht – es war zu ölig und wirkte stopfend –, aber irgendetwas an dem Speck der glitschigen Kreaturen ließ ihnen doch das Wasser in den winterhungrigen Mündern zusammenlaufen. Sie schossen auch große, brüllende Walrosse, die man durch Sehrohre dabei beobachten konnte, wie sie mit ihren gewaltigen Hauern vor den Stränden nach Austern tauchten. Einige Jagdtrupps kehrten sogar mit dem Pelz des weißen Polarfuchses zurück. Den Eisbären schenkten die Männer
keine Beachtung, außer die tapsigen Tiere näherten sich in angriffslustiger Manier oder

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