Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
sputen – die Männer sehen es nicht gern, wenn die Leichen ihrer Maaten geöffnet werden.«
    Stanley nickte, und ich fuhr fort. Wie um meine Bemerkung zu bestätigen, begann Hartnells jüngerer Bruder Thomas von der anderen Seite des Vorhangs aus zu rufen und zu lamentiren. Anders als bei Torringtons langsamem Siechthum, welches seinen Kameraden Zeit gelassen hatte, sich mit seinem Tode abzufinden, seine Habseligkeiten untereinander aufzutheilen und sogar Briefe an Torringtons Mutter zu schreiben, waren die Männer von John Hartnells plötzlichem Zusammenbruch und Tod consternirt. Keiner unter ihnen mochte die Vorstellung leiden, daß die Schiffsärzte den Leichnam aufschnitten. So stand nur mehr Commander Fitzjames mit seiner Gestalt, seinem Rang und seinem Gebaren zwischen den verwirrten Seeleuten und unserem Lazarette.
    Ich war mir dessen bewußt, daß Fitzjames’ Anwesenheit und die Backsmaaten des jüngeren Hartnell denselben zurückhielten, doch während ich mit dem Scalpell Gewebe durchtrennte und mit den hierfür bestimmten Geräthen den Leichnam für die Untersuchung öffnete, hörte ich fortwährend das zornige Murren, welches nur wenige Schritte hinter mir erklang.
    Zuerst löste ich Hartnells Herz heraus, wobei ich auch einen Theil der Trachea durchschnitt. Ich hielt es ins Laternenlicht, und Stanley wischte
mit einem schmutzigen Lappen das Blut ab. Dann nahmen wir es beide in Augenschein. Es sah ganz gewöhnlich aus und zeigte keine Symptome einer Erkrankung. Während Stanley das Organ noch hielt, that ich einen Schnitt in die rechte und sodann in die linke Herzkammer. Nachdem wir den starken Muskel zurückgezogen hatten, betrachteten wir die Herzklappen. Sie schienen völlig gesund.
    Ich versorgte Hartnells Herz wieder in seine Bauchhöhle und secirte mit raschen Scalpellschnitten den unteren Theil der Lungenflügel.
    »Da«, entfuhr es Stanley.
    Ich nickte. Es waren deutliche Vernarbungen und andere Merkmale einer Schwindsucht zu erkennen; ferner Anzeichen dafür, daß der Seemann seit kurzem an Pneumonie gelitten hatte. Wie John Torrington, so war auch John Hartnell tuberculös gewesen, aber dieser ältere, stärkere und, nach Stanleys Worten, rauhere und lautere Matrose hatte die Symptome verheimlicht – vielleicht auch vor sich selbst. Bis er endlich heute wie aus heiterem Himmel hingestürzt war und der rasche Tod ihm den Genuß seines geliebten Salzfleisches verwehrt hatte.
    Danach trennte ich die Leber heraus und hielt sie unters Licht. Bei eingehender Betrachtung sahen wir uns nicht nur, die Schwindsucht betreffend, in unserer Diagnosis bestätigt, sondern fanden auch Anzeichen einer starken Trunksucht.
    Nur wenige Schritte entfernt, auf der anderen Seite des Vorhangs, stieß Thomas Hartnell nun wüthende Schreie aus und wurde offenkundig nur noch von Commander Fitzjames’ strengem Befehlston in die Schranken gewiesen. Dem lauten Stimmengewirr entnahm ich, daß mehrere Officiere  – die Leutnanten Gore, Le Vesconte und Fairholme und sogar Unterleutnant Des Voeux – ebenfalls trachteten, die aufgebrachten Matrosen zu beruhigen und in Schach zu halten.
    »Haben wir genug gesehen?« flüsterte Stanley.
    Ich nickte aufs neue. Weder am Leibe noch am Gesichte noch in der Mundhöhle noch an den Organen waren Zeichen von Scorbut zu erkennen. Es mochte immerhin ein Räthsel bleiben, wie der Vollmatrose so rasch der Schwindsucht oder Pneumonie oder beiden im Vereine hatte erliegen
können, doch wenigstens war nun der Beweis erbracht, daß wir keine seuchenartige Krankheit zu fürchten hatten.
    Das Lärmen im Mannschaftslogis wurde immer lauter, so daß ich mich veranlaßt sah, die Lungenproben und die Leber schnell zurück zu den anderen Organen und zum Herzen in die Bauchhöhle zu werfen. In meiner Eile war ich nicht im Stande, sie an den gehörigen Platz zu legen, sondern drückte sie zu einem Klumpen zusammen, ehe ich grob Hartnells Brustbein wieder einsetzte. (Später fiel mir ein, daß ich es verkehrt herum gethan hatte.)
    Dann nähte Stanley die Incision mit einer großen Nadel und schwerem Segelzwirn zu; seine raschen, sicheren Stiche hätten jedem Segelmacher zur Ehre gereicht.
    Nach einer weiteren Minute hatten wir Hartnell seine Kleider übergestreift  – was auf Grund des einsetzenden Rigor mortis nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten ging –, und konnten endlich den Vorhang öffnen. Stanley, dessen Stimme tiefer und voller ist als meine, versicherte Hartnells Bruder und den

Weitere Kostenlose Bücher