Terror
wollten den Menschen ihre Jagdbeute streitig machen. Das Eisbärenfleisch mundete niemandem so recht, zumal es auch an delikaterem Wild nicht fehlte.
Franklins Anweisungen für die Expedition sahen eine Ausweichroute vor. Wenn er »den südlichen Zugang zur Nordwest-passage durch Eis oder andere Hindernisse verstellt« fände, sollte er sich nach Norden wenden und der Wellington-Passage ins »offene Polarmeer« folgen, im Grunde also Kurs auf den Nordpol nehmen. Aber Franklin tat, was er sein ganzes Leben ohne Fragen getan hatte: Er richtete sich nach seinen vorrangigen Befehlen. So waren seine Schiffe in diesem zweiten Sommer in der Arktis von der Devon-Insel aus nach Süden aufgebrochen, und Franklin führte die HMS Erebus und die HMS Terror vorbei an Cape Walker in die unbekannten Gewässer eines eisreichen Archipels.
Im vergangenen Sommer hatte es noch den Anschein gehabt, als müsse er sich damit abfinden, zum Nordpol zu segeln, statt die Nordwestpassage zu entdecken. Ohnehin hatte Kapitän John Franklin allen Grund, auf das bisher Geleistete stolz zu sein. In den wenigen noch verbliebenen Sommerwochen des Jahres 1845 – von England waren sie spät und von Grönland noch später als geplant aufgebrochen – hatte er in Rekordzeit die Baffin-Bucht, den Lancaster-Sund südlich der Devon-Insel und schließlich die Barrow-Straße durchquert. Doch dann, Ende August, war die Weiterfahrt nach Süden, vorbei am Cape Walker, durch Eis versperrt. Seine Eislotsen meldeten offenes Wasser im Norden, vor den westlichen Ausläufern der Devon-Insel bis hinein in den Wellington-Kanal, und so gehorchte Franklin schließlich doch seinen nachrangigen Befehlen und wandte sich nach Norden, um eine eisfreie Durchfahrt ins offene Polarmeer und zum Nordpol zu finden.
Aber sie fanden nicht den Zugang zum sagenumwobenen offenen Polarmeer. Eine riesige Halbinsel, die für die Männer der
Franklin-Expedition ebenso gut Teil eines unbekannten arktischen Kontinents hätte sein können, hatte ihren Weg blockiert und sie gezwungen, dem offenen Wasser in nordwestlicher und dann fast westlicher Richtung zu folgen, bis sie die westliche Spitze der Halbinsel erreichten. Dort wandten sie sich erneut nach Norden und stießen auf eine ununterbrochene Eismasse, die sich vom Wellington-Kanal aus schier bis ins Unendliche erstreckte. Nachdem sie fünf Tage an dieser hohen Gletschermauer entlanggesegelt waren, gelangten Franklin, Fitzjames, Crozier und die Eislotsen zu der Überzeugung, dass es kein offenes Polarmeer jenseits des Wellington-Kanals gab. Wenigstens nicht in diesem Sommer.
Die schlechter werdenden Eisbedingungen veranlassten sie, Kurs nach Süden zu nehmen und die bis dahin als Cornwallis-Land bekannte Landmasse zu umfahren, die man nunmehr als Insel einordnen konnte. Zumindest also konnte Sir John Franklin für sich verbuchen, dass seine Expedition dieses Rätsel gelöst hatte.
Nach der Umschiffung der riesigen, kargen Cornwallis-Insel war das Packeis im Spätsommer 1845 rasch wieder festgefroren, und Franklin war erneut in die Barrow-Straße nördlich von Cape Walker gefahren. Nachdem er festgestellt hatte, dass der Weg nach Süden immer noch von dichtem Eis blockiert war, ließ er den bereits zwei Wochen zuvor erkundeten geschützten Winterliegeplatz vor der Beechey-Insel anlaufen. Sie kamen gerade noch rechtzeitig an, denn schon einen Tag nachdem sie im seichten Wasser dieses Hafens vor Anker gegangen waren, schlossen sich die letzten offenen Rinnen hinaus in den Lancaster-Sund, und das ziehende Packeis hätte jede Weiterfahrt unmöglich gemacht. Selbst bei solchen eichen- und eisenverstärkten Meisterwerken der Technik wie der Erebus und der Terror wäre zweifelhaft gewesen, ob sie den Winter draußen im Kanal überdauert hätten.
Doch jetzt war wieder Sommer. Woche um Woche waren sie nach Süden und Westen gesegelt und hatten ihre Vorräte nach Kräften aufgestockt. Jeder Rinne, jedem Glitzern offenen Wassers, das sie vom Ausguck hoch oben am Großmast erspähen konnten, waren sie gefolgt, und wenn es sein musste, hatten sie das Eis durchstoßen.
Die HMS Erebus fuhr weiterhin voran, um durch das Eis zu brechen, wie es ihrer Stellung und ihrer Verantwortung als schwereres Schiff mit der um fünf Pferdestärken kräftigeren Dampfmaschine entsprach. Doch dann wurde die lange Antriebswelle der Schiffsschraube vom Unterwassereis verbogen – eine verteufelte Sache. Weder ließ sie sich einziehen, noch konnte sie ihre Funktion
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