Terror
anderen Seemännern, daß wir den Leichnam jetzt nur noch waschen mußten, damit er für das Begräbniß präparirt werden konnte.
Den 6. Januar 1846
Ohne daß ich den Grund dafür anzugeben wüßte, wurde mir diese Bestattung noch schwerer als die erste. Abermals fand ein feierlicher Trauerzug statt, an welchem, mit Ausnahme von Dr. MacDonald, Dr. Peddie und Capitain Crozier, ausschließlich Besatzungsmitglieder der Erebus Theil nahmen.
Abermals lag die Fahne über dem Sarg. Die Männer hatten Hartnells Oberkörper in drey Schichten gekleidet – darunter auch das beste Hemd seines Bruders –, die nackten Beine indeß nur in ein Leichentuch gehüllt. Danach hatte die obere Hälfte des Sarges mehrere Stunden lang offen im schwarz verhangenen Lazarette auf dem Unterdeck gestanden, ehe für das Begräbniß endgültig die Nägel eingeschlagen wurden. Abermals zog die
langsame Schlitten-Procession vom gefrorenen Meere zum gefrorenen Strand.
Die Laternen schwankten in finsterer Nacht, obgleich es Mittag war. Die Sterne schienen, und es fiel kein Schnee. Die Seesoldaten hatten zu thun, denn drey große Weiße Bären, welche jählings wie Geistererscheinungen zwischen den Eishügeln hervortraten, näherten sich witternd dem Leichenzuge. Die Männer mußten mit Büchsen auf sie schießen, um sie zu vertreiben; eines der Thiere trug gar eine sichtbare Wunde davon.
Abermals erklang eine Todtenrede Sir Johns – wiewohl kürzer gefaßt, weil Hartnell nicht so beliebt war wie der junge Torrington –, und abermals schritten wir allein über das krachende, knirschende, knarrende Eis zurück, nur daß diesmal über uns die kalten Sterne tanzten, während hinter uns allmählich das Scharren und Scheppern der Pickel und Spaten verhallte, welche das gefrorene Erdreich in die neue Grube neben Torringtons rührend gepflegter Grabstätte schütteten.
Vielleicht war es die schwarze Steilklippe, die sich so unheilvoll über allem erhob, welche mein Gemüth bei dieser zweyten Bestattung so sehr quälte. Obschon ich mir dieses Mal absichtlich einen Platz mit dem Rücken zur Klippenwand erwählte, näher bei Sir John, um den Worten der Hoffnung und des Trostes besser lauschen zu können, stand mir dieser kalte, schwarze, senkrechte, unbelebte, blinde Koloß aus fühllosem Stein unablässig vor Augen – wie ein Thor, so dünkte mich, zu jenem Lande, aus dem noch keiner kam zurück. Gegen die frostige Wirklichkeit dieses düsteren, gesichtslosen Felsen vermochten selbst Sir Johns barmherzige und fromme Worte wenig auszurichten.
Auf beiden Schiffen herrscht äußerste Niedergeschlagenheit. Noch ist im neuen Jahre keine volle Woche verstrichen, und schon sind zwey aus unserem Kreise von uns gegangen. Für den morgigen Tag haben wir vier Wundärzte verabredet, uns an einem stillen Orte zu treffen – im Zimmermannshellegat auf dem Orlopdeck der Terror –, um zu berathen, was zu thun sey, um weitere Todesfälle auf dieser unseligen Expedition zu vermeiden.
Die Worte auf Hartnells Gedenktafel lauten:
IM STILLEN ANGEDENKEN AN
JOHN HARTNELL, MATR. D.
HMS EREBUS
VERSTORBEN AM
4. JANUAR 1846
IM ALTER VON 25 JAHREN
»SO SPRICHT DER HERR ZEBAOTH:
SCHAUET, WIE ES EUCH GEHT!«
HAGGAI I,7
Während der letzten Stunde hat der Wind aufgefrischt; es ist kurz vor Mitternacht, und die meisten Lampen hier auf dem Unterdeck der Erebus sind ausgelöscht. Ich lausche dem Heulen des Sturmes und denke an jene zwey kalten, niedrigen Haufen aus Kieselsteinen draußen auf dieser schwarzen, windigen Landenge; ich denke an die Todten in diesen zwey frostigen Löchern; ich denke an die gesichtslose schwarze Felswand, und ich male mir die Salven von Schneekörnern aus, welche unausgesetzt auf die hölzernen Grabtafeln niederprasseln und schon bald ihre Inschrift tilgen werden.
7
Franklin
70°03′29′′ NÖRDLICHE BREITE | 98°20′ WESTLICHE LÄNGE
RUND 28 MEILEN NORDNORDWESTLICH
VON KING-WILLIAM-LAND, 3. SEPTEMBER 1846
S elten war Kapitän Sir John Franklin so mit sich zufrieden gewesen wie jetzt.
Der vergangene Winter, den sie eingeschlossen vor der Beechey-Insel verbracht hatten, Hunderte von Meilen nördlich ihrer augenblicklichen Position, war in vielerlei Hinsicht unangenehm gewesen. Er wäre der Erste, der sich das eingestehen würde, und auch gegen jeden Mann seines Ranges hätte er kein Blatt vor den Mund genommen. Aber es gab auf dieser Fahrt keine ebenbürtigen Männer. Der Tod der drei Expeditionsteilnehmer –
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