Terror
Eis zu den anderen.
Das Schiff brannte fast eineinhalb Stunden lang, ehe es sank.
Es war eine unglaubliche Feuersbrunst. Guy-Fawkes-Tag am Polarkreis.
Das Pulver und das Lampenöl hätte er sich sparen können. Die Balken, die Planken und die Leinwand waren so ausgetrocknet, dass das ganze Schiff in Flammen aufging wie eine jener Brandbomben, für deren Einsatz es vor vielen Jahrzehnten erbaut worden war.
Nach Beginn des Tauwetters in einigen Wochen wäre die Terror ohnehin gesunken. Das Axtloch in ihrer Seite war eine tödliche Wunde.
Aber das war nicht der Grund, warum er das Schiff in Brand gesteckt hatte. Wenn man ihn gefragt hätte, hätte er nicht erklären können, warum es verbrannt werden musste. Er wollte nicht, dass »Retter« von britischen Expeditionen durch das Schiff strömten, um mit ihren Berichten sensationslüsterne
Bürger zu ängstigen und Mr. Dickens oder Mr. Tennyson zu neuen Höhen rührseliger Dichtkunst anzustacheln. Außerdem wusste er, dass es nicht nur Berichte waren, die diese Retter mit nach England gebracht hätten. Die Geister, die von dem Schiff Besitz ergriffen hatten, waren so ansteckend und bösartig wie die Pest. Das hatte er mit den Augen seiner Seele erkannt und mit all seinen menschlichen und silam-inua-Sinnen wahrgenommen.
Als die brennenden Masten zusammenbrachen, jubelten die Echten Menschen.
Sie alle waren fünfzig Faden weit zurückgewichen. Die Terror sengte sich ihr eigenes Todesloch ins Eis, und kurz nach dem Einstürzen der Masten und Taue versank das brennende Schiff zischend und gurgelnd in den Tiefen.
Das Prasseln des Feuers weckte die Kinder, und die Flammen erhitzten die Luft über dem Eis so sehr, dass alle – seine Frau, der finster blickende Asiajuq, Qaumaniq mit den großen Brüsten, die Jäger, der glücklich grinsende Inupijuk und sogar Taliriktuq – ihre Anoraks auszogen und sie auf den qamutik legten.
Als das Schauspiel vorüber und das Schiff gesunken war, als sich die Sonne dem südlichen Horizont zuneigte, so dass die langen Schatten der Gruppe über das graue Eis sprangen, standen sie noch immer da, um voller Freude auf den hochschießenden Dampf zu zeigen und einzelne Trümmer zu bestaunen, die hier und da aufs Eis geschleudert worden waren.
Schließlich wandte sich die Schar wieder zurück zur großen und dann zu den kleineren Inseln, um noch das Festland zu erreichen, bevor sie ihr Nachtlager aufschlug. Bis nach Mitternacht leuchtete ihnen die Sonne auf ihrem Marsch. Sie alle wollten diesen Ort weit hinter sich lassen und noch vor den Stunden der Dämmerung und der vollen Dunkelheit festen Boden unter die Füße bekommen. Selbst die Hunde bellten und fauchten nicht mehr und schienen fester zu ziehen, als sie auf dem Weg zurück die kleinen Inseln überquerten. Asiajuq lag schnarchend unter
seinen Fellen auf dem Schlitten, die Kinder dagegen waren hellwach und wollten spielen.
Taliriktuq nahm die zappelnde Kanirjuk auf den linken Arm und legte den rechten um Silna-Silence. Tulugaq, der noch immer von seiner Mutter getragen wurde, patschte greinend nach ihren Armen, damit sie ihn absetzte. Er wollte selber gehen.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Taliriktuq, wie ein Vater und eine Mutter ohne Zunge einen eigensinnigen Jungen zur Ordnung rufen sollten. Dann fiel ihm – ebenfalls nicht zum ersten Mal – ein, dass er jetzt einer der wenigen Kulturen angehörte, die sich nicht die Mühe machte, eigensinnige Jungen oder Mädchen zur Ordnung zu rufen. Tulugaq trug bereits die inua eines achtbaren Erwachsenen in sich. Sein Vater musste einfach abwarten, um zu erkennen, wie achtbar sie tatsächlich war.
Die inua Francis Croziers, die unversehrt in Taliriktuq wohnte, gab sich keinen Illusionen über das Leben hin: es war armselig, ekelhaft, tierisch und kurz.
Aber vielleicht musste es nicht einsam sein.
Den Arm um Silna gelegt, versuchte er das dröhnende Schnarchen des Schamanen und die Tatsache zu ignorieren, dass die kleine Kanirjuk soeben auf den besten Sommeranorak ihres Vaters gepinkelt hatte. Er achtete auch nicht auf Tulugaqs Gewimmer, der sich auf dem Arm seiner Mutter hin und her wand.
Taliriktuq und Crozier wanderten nach Osten über das Eis, um festen Boden zu erreichen.
Danksagung
F ür die Arbeit an meinem Buch bin ich zahlreichen Quellen zu Dank verpflichtet. Die Idee, über diese Ära der Polarforschung zu schreiben, entsprang einer kurzen Randbemerkung über die Franklin-Expedition, auf die ich in Sir Ranulph
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