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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Kleine, die mit strahlenden Hundeaugen zu ihm aufgeschaut hat, hat sich unmerklich zu ihm hinübergelehnt, so heimlich, dass sie glauben mag, er merke nicht, dass ihr drahtiger kleiner Körper ihn berührt. Ahmed, der sich noch immer als Eindringling empfindet, ignoriert sie und blickt steif geradeaus, wie um den Sängern in ihren Roben die Worte vom Mund abzulesen. «Welch eine Gnade, in Gebeten», versteht er, «Gott alles darzubringen.»
    Ahmed selbst liebt es zu beten, er liebt das Gefühl, die lautlose innere Stimme in ein Gefäß des Schweigens an seiner Seite strömen zu lassen; eine unsichtbare Erweiterung seiner selbst in eine Dimension zu überführen, die reiner ist als die drei Dimensionen dieser Welt. Joryleen hat ihm gesagt, sie werde ein Solo singen, aber sie bleibt in ihrer Reihe, zwischen einer fetten älteren Frau und einer dünnen, deren Haut von der Farbe gegerbten Leders ist, und alle schaukeln sie leicht in ihren schimmernden blauen Roben und bewegen ihre Münder mehr oder weniger im Einklang, sodass er die Stimme von Joryleen nicht heraushören kann. Ihr Blick bleibt auf den helmhaarigen Dirigenten geheftet und schweift nicht ein einziges Mal zu Ahmed hin, obwohl er doch das Höllenfeuer riskiert, indem er ihrer Einladung gefolgt ist. Er fragt sich, ob in der bösen Gemeinde hinter ihm auch Tylenol anwesend ist; an der Stelle, wo Tylenol ihn gepackt hat, tat Ahmed die Schulter einen Tag lang weh. «… nur weil wir in Gebeten», singt der Chor, «nicht alles Gott darbringen.» Gemeinsam bilden die Stimmen der Frauen, vor den tieferen der Männer in der Reihe dahinter, eine würdevolle Front, wie eine furchtlos vorrückende Armee. Die vielen Kehlen verschmelzen zu einem Orgelton, jeder Entgegnung entrückt, wehmütig, weit entfernt von der einzelnen Stimme eines Imam, der die Musik des Koran intoniert, eine Musik, die einem in die Räume hinter den Augen dringt, in die Stille des Gehirns.
    Der Organist gleitet in einen anderen Rhythmus hinüber, einen hoppeligen Galopp, von holzigen Klopfklängen punktiert, die jemand hinter dem Chor erzeugt – mit einem Instrument aus Stöcken, das Ahmed nicht sehen kann. Die Gemeinde nimmt den Tempowechsel mit billigendem Gemurmel auf, und der Chor hält den Rhythmus nun mit den Füßen, mit den Hüften. Von der Orgel kommen Klänge, als verschlucke sie sich – als stürze sie ab. Das Lied entledigt sich seines Wortgewands, wird schwerer verständlich – irgendetwas über Plagen, Versuchungen und Kummer irgendwo. Die dünne, verdorrte Frau neben Joryleen tritt vor und fragt die Gemeinde mit männlich klingender Stimme: «Wo finden wir einen so treuen Freund, der all unsere Sorgen teilt?» Der Chor hinter ihr singt immer nur: «Hör uns beten, hör uns beten, hör uns beten.» Der Organist dotzt auf und nieder, macht sich scheinbar selbständig, bleibt aber doch im Einklang mit ihnen. Ahmed hatte nicht gewusst, dass es auf den Orgeltasten so viele Töne gibt, hohe und niedrige, die in Schwärmen jäh aufsteigen können, höher, noch höher. «Hör uns beten, hör uns beten, hör uns beten», kommt es im Singsang vom Chor, der den fetten Organisten sein Solo verkünden lässt.
    Dann ist Joryleen an der Reihe; unter versprengtem Beifall tritt sie vor und streift mit dem Blick geradewegs Ahmeds Gesicht, bevor sie das vollmundige Oval ihres Gesichts den vielen zuwendet, die hinter ihm sitzen und über ihm, auf der Empore. Sie holt Luft; Ahmed stockt das Herz, er hat Angst für sie. Aber ihre Stimme ist wie ein Faden Seide. «Sind wir schwach und schwer beladen, niedergedrückt von Sorgen?» Ihre Stimme ist jung, rein und zerbrechlich; sie bebt ein wenig, bis ihre Nervosität sich legt. «Gütiger Heiland, unsere Zuflucht», singt sie. Ihre Stimme entspannt sich, nimmt eine metallische Färbung an, mit einem heiseren Unterton, dann schwingt sie sich, plötzlich befreit, zu einem gellenden Aufschrei empor, gleich dem eines Kindes, das verlangt, hinter eine verschlossene Tür eingelassen zu werden. Zu diesen Freiheiten, die sie sich nimmt, brummelt die Gemeinde beifällig. «Ve-her-schmähen, ve-her-lassen deine Freunde dich?»
    «Hey, na, tun sie’s?», fällt die fette Frau neben ihr fragend ein, als sei Joryleens Solo ein warmes Bad, das unwiderstehlich geworden ist. Sie springt hinein, nicht um Joryleen zu bedrängen, sondern um sich ihr anzuschließen; sobald Joryleen diese andere Stimme neben sich vernimmt, probiert sie ein paar gewagt schräge Töne aus,

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