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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Äußerungen des Satans, und Gott wird sie am Tag des Jüngsten Gerichts erbarmungslos vernichten. Er wird frohlocken, wenn sie leiden. Du, Ahmed, tu gleichermaßen. Wer meint, Kakerlaken verdienten Erbarmen – erhebt sich über Ar-Rahim, maßt sich mehr Erbarmen an als der Barmherzige.»
    Ahmed kam es vor, als nähme sein Lehrer zu Metaphern Zuflucht, um die Wirklichkeit abzuwehren; gerade so, wie er es getan hatte, als es um die Umstände im Paradies gegangen war. Joryleen war eine Ungläubige und hatte doch Gefühle; sie äußerten sich in ihrem Singen und darin, wie die anderen Ungläubigen darauf reagierten. Aber es stand Ahmed nicht zu, mit seinem Lehrer zu disputieren; seine Pflicht war es, zu lernen, sich in dem großartigen Gebäude des Islam, dem sichtbaren wie dem unsichtbaren, mit seinem Platz zu begnügen.
    Vielleicht ist seine Mutter so rasch zur Tür gegangen, weil sie einen ihrer Verehrer erwartet hat, doch ihr Ton sagt ihm, das sie zurückgewichen ist, nicht vor Beunruhigung, sondern verblüfft und respektvoll. Mit einer höflichen, müden Stimme, die Ahmed vage bekannt vorkommt, stellt sich der Besucher als Mr. Levy vor, Beratungslehrer an der Central High School. Ahmed atmet auf; es ist nicht Tylenol oder jemand von der Moschee. Aber warum Mr. Levy? Nach ihrem Gespräch war Ahmed unbehaglich zumute gewesen; der Berater hatte erkennen lassen, dass ihn Ahmeds Zukunftspläne nicht zufrieden stellten, und hatte angedeutet, er gedenke einzugreifen.
    Wie ist er überhaupt so weit vorgedrungen, bis zur Wohnungstür? Ihr Apartmenthaus war zusammen mit zwei weiteren dreißig Jahre zuvor errichtet worden, anstelle von Reihenhäusern, die so heruntergekommen und drogenverseucht waren, dass die Verwaltungsbeamten von New Prospect meinten, zehn Stockwerke hohe Klötze mit Wohneinheiten für Mieter verschiedener Einkommensklassen könnten diesen Teil der Stadt neu beleben. Zudem spekulierten sie darauf, dass sich die zwangsenteigneten Grundstücke für einen Park mit Sport- und Spielplätzen sowie für eine Schnellstraße nutzen ließen, die im Bogen aus der Innenstadt hinausführen sollte, damit die Autos rascher in die Vororte gelangten. Wie nach der Trockenlegung malariagefährdeter Landstriche waren die Probleme jedoch wiedergekehrt: Die Söhne früherer Drogendealer übernahmen den Handel, und die Süchtigen und die Dealer benutzten die Parkbänke, die Büsche und die Treppenhäuser der Apartmentblocks und huschten nachts in den Eingangshallen umher. Ursprünglich war an jedem Eingang ein Wachmann vorgesehen gewesen, aber die Gemeinde musste Budgetkürzungen vornehmen, und die kleinen Pförtnerlogen, von denen aus die Hallen und Korridore auf Monitoren überwacht werden sollten, waren unregelmäßig besetzt. Stundenlang hing dort oft ein Zettel, auf dem in Handschrift In 15 Minuten zurück geschrieben stand. Um diese abendliche Zeit gingen Bewohner und Besucher gewöhnlich frei ein und aus. Mr. Levy musste in die Halle getreten sein, auf die Briefkästen geschaut haben und mit dem Aufzug heraufgekommen sein; dann hatte er an der Wohnungstür geklopft. Und da steht er nun, diesseits der Schwelle, vor der Küche, und stellt sich vor – lauter und förmlicher, als er bei dem Beratungsgespräch mit Ahmed geredet hat. Damals hatte er vorsichtig, träge und sehr müde gewirkt. Ahmeds Mutter ist rot geworden, sie spricht hoch und schnell; den Besuch einer Vertreters der fernen Obrigkeiten, die über ihr einsames Leben wachen, findet sie aufregend.
    Mr. Levy spürt das und versucht, Gelassenheit zu verströmen. «Bitte entschuldigen Sie, dass ich so in Ihre Privatsphäre eindringe», sagt er zu einem Punkt in der Mitte zwischen der stehenden Mutter und dem sitzenden Sohn, der nicht aufsteht. «Aber als ich die Nummer angerufen habe, die in Ahmeds Schulakte steht, bekam ich eine Bandansage: ‹Kein Anschluss unter dieser Nummer.›»
    «Die Nummer mussten wir abmelden, nach dem elften September», erklärt sie, noch immer ein bisschen atemlos. «Wir bekamen Schmähanrufe, antimoslemische Anrufe. Ich habe die Nummer wechseln lassen und verlangt, dass die neue ungelistet bleibt, auch wenn das im Monat ein paar Dollar mehr kostet. Die sind es wert, kann ich Ihnen sagen.»
    «Es tut mir sehr leid, das zu hören, Mrs. … Ms. … Mulloy», sagt der Beratungslehrer und wirkt dabei nicht nur so traurig wie immer, sondern als tue es ihm wirklich leid.
    «Es gab nur zwei, drei solche Anrufe», wirft Ahmed ein. «Keine

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